Mala Jeyakumar erinnert sich nicht gerne an die Zeit, als sie ihre Heimat Sri Lanka verlassen musste und via Schlepper in die Schweiz kam. Kalt sei es gewesen bei der Ankunft in der Schweiz, dunkel, die Unsicherheit gross. In der Öffentlichkeit wurden die dunkelhäutigen Tamilinnen und Tamilen schräg angeschaut, beschimpft.
«Ich hatte Angst und vermisste die Heimat», erinnert sich Mala Jeyakumar. «Für die Religion hatte ich damals keine Kraft.»
Der Schrein im Wandschrank
Mala Jeyakumar gehört zu den ersten tamilischen Einwanderinnen und Einwandern. Vor 40 Jahren kamen sie in die Schweiz, als in Sri Lanka der Bürgerkrieg ausbrach.
Erst, als sie eine Aufenthaltsbewilligung erhielt, eine Arbeit und eine Mietwohnung, hat sie wieder begonnen, mit den Göttern und Göttinnen Kontakt aufzunehmen. Sie richtete sich im Schrank einen kleinen Schrein ein. Mit einem Bild von Shiva und einer kleinen Kerze. Einen Tempel mit Götterstatuen und Priestern, die Rituale durchführen, gab es damals in der Schweiz noch nicht.
«Ich ging in die katholische Kirche», erzählt Mala Jeyakumar. Dort fühlte sie die Präsenz der Muttergöttin – in der Gestalt von Maria. Erst zu Beginn der 1990er-Jahre entstanden erste Tempel: zunächst in Wohnungen, dann in Industriegebieten.
Entscheidend waren die Frauen, die Druck machten, weil sie für die religiöse Erziehung der Kinder zuständig waren. Und Männer aus höheren Kasten, die ihre Glaubensgenossen vor Konversionsversuchen durch Freikirchen schützen wollten.
Der Tempel als Kraftort
Bis in die 2000er-Jahre hatten sich die Tempel etabliert. 2013 wurde in Trimbach der erste genuine Tempelbau in der Schweiz eingeweiht. Seit 2007 gibt es den Reformtempel Saivanerikoodam in Bern, der sich Gleichberechtigung auf die Fahnen geschrieben hat. Konkret heisst das: Alle können Priester werden – auch Frauen und Männer, die nicht aus der Priesterkaste der Brahmanen stammen.
Eine der ersten Priesterinnen ist Mala Jeyakumar. «Als ich zum ersten Mal zu den Göttern in den Altar trat, dachte ich: Darf ich sie wirklich berühren?», erzählt sie. «Ich hatte grossen Respekt.» Denn in traditionellen Tempeln ist der direkte Kontakt mit den Götterstatuen den Priestern vorbehalten.
Der Reformtempel in Bern spricht mit seinen neuen Ideen auch junge Schweizerinnen mit tamilischen Wurzeln an. Laavanja Sinnadurai zum Beispiel.
Sie besucht den Reformtempel regelmässig – wegen der Gleichberechtigung. «Für mich ist es ein Kraftort, ein Erlebnis für alle Sinne. Die Rituale finden auf Tamilisch statt und nicht auf Sanskrit. Ich verstehe alles, das ist schön.»
Der Reformtempel fordere die traditionellen Tempel heraus, sagt Religionswissenschaftler Martin Baumann von der Universität Luzern. Auch sie müssten sich anpassen, etwa Rituale wie Hochzeiten abkürzen und sich für nicht hinduistische Besucherinnen und Besucher öffnen. Martin Baumann glaubt, dass es in den nächsten Jahren eine Konsolidierung geben wird. Für ihn ist klar: Der Hinduismus ist in der Schweiz heimisch geworden.