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Hitlers «Mein Kampf» Ein «unlesbares» Buch: Wie übersetzt man die Sprache des Bösen?

Olivier Mannoni hat Hitlers Hetzschrift ins Französische übersetzt. Was das mit ihm gemacht hat und warum das «sehr schlechte Buch» Vorlage für die Sprache der extremen Rechten ist, berichtet er in «Hitler übersetzen».

Da ist der Moment, als Olivier Mannonis Frau die Bücher, auf deren Rücken Hitlers Name steht, in seinem Arbeitszimmer sieht. Sie dreht sie um, sodass der Buchschnitt vorn zu sehen ist. «Hat er wirklich so viel Platz bei uns eingenommen, dass seine Anwesenheit unerträglich geworden ist?», fragt Mannoni in seinem Buch. Und gibt gleich selbst die Antwort: «Ja, er ist fast omnipräsent.»

Mann mit Brille, grauem Haar und Koteletten, im Anzug vor grauem Hintergrund.
Legende: «Sprache der Verneblung»: So beschreibt Journalist und Übersetzer Olivier Mannoni die Semantik hinter Hitlers Sprache. Philippe Matsas

Acht Jahre hat Olivier Mannoni an der Übersetzung von Hitlers «Mein Kampf» gearbeitet. Acht Jahre, in denen der Text sein Leben dominierte und sich in seinen Alltag schlich.

Sprache der Vernebelung

Olivier Mannoni ist ein Experte für die NS-Zeit. Rund 50 Bücher zum Nationalsozialismus hat er ins Französische übertragen, auch Primärtexte wie die Tagebücher von Joseph Goebbels. Und er hat dabei gelernt: Es gibt mehrere Sprachen des Nationalsozialismus.

Die sehr brutale Sprache von Goebbels etwa, mit kurzen, schroffen Sätzen. Und es gibt die Sprache, die Hitler verwendete. Olivier Mannoni bezeichnet sie als eine Sprache der Vernebelung. Eine Sprache, die vor allem darauf abziele, etwas zu sagen und das Gesagte gleichzeitig zu verhüllen.

Hitlers Buch des Hasses

Als Mannoni eine Anfrage erhielt, ob er Hitlers «Mein Kampf» übersetzen wolle, sagte er zu. Unter einer Bedingung: Die Übersetzung sollte in einen historisch-wissenschaftlichen Kontext eingebettet werden, begleitet von Erläuterungen und kritischen Kommentaren. «Meine eigene Arbeit sollte nicht von rechten Extremisten verwendet werden können», sagt Olivier Mannoni.

«Mein Kampf» und seine Neuauflagen

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Hitlers «Mein Kampf» wurde zweibändig zuerst 1925 und 1926 publiziert. Nach dem Zweiten Weltkrieg durfte das Werk in Deutschland offiziell weder verlegt noch verkauft werden. Dieses Verbot machte das Buch zu einem Fetisch in rechtsextremen Kreisen. Im Internet kursierten diverse Versionen des Textes.

Adolf Hitler war bis zu seinem Tod in München gemeldet. Im Zuge der Entnazifizierung gingen die Rechte an «Mein Kampf» an den Freistaat Bayern. 2015 erlosch der Rechtsanspruch des Freistaats und das Buch konnte neu aufgelegt und vertrieben werden. Das sorgte dies für heftige Debatten: Sollte diese Hetzschrift im Buchhandel frei zugänglich sein?

In Deutschland legte das Institut für Zeitgeschichte 2016 eine kommentierte Neuauflage vor: Die beiden Bände wiegen zusammen fünf Kilogramm und enthalten rund 3500 Anmerkungen. Frankreich folgte diesem Beispiel: Die von Olivier Mannoni und einem Team aus Historikerinnen und Historikern erarbeitete französische Fassung «Historiciser le mal, une édition critique de Mein Kampf» erschien 2021.

Olivier Mannonis Übersetzung ins Französische ist aber nicht die erste: Bereits 1934 erschien eine französische Ausgabe unter dem Titel «Mon combat». Publiziert wurde sie von rechten Kreisen in Frankreich, die antisemitisch, aber auch antideutsch dachten. Man wollte damals wissen, was Hitler in Bezug auf Frankreich geplant hatte.

Im ersten Teil von «Mein Kampf» entwirft Hitler eine heroische Autobiografie, im zweiten seine politischen Visionen. Ideen, die vor allem von Hass genährt wurden: Hass auf Juden, Intellektuelle, politisch Andersdenkende. «Hitlers Buch ist ein Buch des Hasses», sagt Olivier Mannoni: «Hitler hat viel gelesen, aber nur wenig verstanden.»

Eine unlesbare Hetzschrift

In seinem Werk habe sich Hitler über alles ausgebreitet: über das Staatswesen, aber auch darüber, welche Kleidung junge Menschen tragen sollten. Olivier Mannonis Übertragung ins Französische bemüht sich, die Hetzschrift so wiederzugeben, wie sie im deutschen Original ist: unlesbar.

Mannoni wollte den Text mit all seinen Fehlern und Unverständlichkeiten übertragen. Als Übersetzer versuche man normalerweise, einen schlechten Text zu verbessern. Aber hier «sollte ich ein sehr schlechtes Buch sehr schlecht übersetzen», erklärt Mannoni.

Überkomplexe Sätze, unterkomplexe Feindbilder

Das sei nicht leicht gewesen und begann bereits bei der Wortwahl. Mannoni führte lange Diskussionen mit dem Historikerteam. Zum Beispiel zur Frage, wie das Wort «Judentum» zu übersetzen sei. Mit dem sehr abwertenden Begriff «juiverie» («Judenpack»), oder mit dem neutraleren «judaïté» («Judentum»).

Hitler selbst verwendet im Deutschen fast immer den neutraleren Begriff. Olivier Mannoni vermutet, dass er seiner Hetzschrift damit einen seriösen, intellektuellen Anstrich geben wollte.

Buch mit schwarz-weissem Porträt und rotem Titelband.
Legende: «Kindisches Denken im Mantel des Intellektuellen»: Olivier Mannoni beschreibt Hitlers «Mein Kampf» als unlesbar. Getty Images/Sean Gallup

Auch die Satzbildung stellte Mannoni vor Herausforderungen: lange, schwer verständliche Sätze, gespickt mit zahlreichen Füllwörtern, Adverbien und Adjektiven. Am Ende der unendlichen Sätze stehen meist einfache Schlussfolgerungen: Die Juden seien an allem schuld, die Franzosen haben die Deutschen immer unterdrückt. «Ein kindisches Denken hüllt sich in den Mantel des Intellektuellen.»

Mit Blick auf heute bemerkt Mannoni, dass bestimmte Ausdrücke, bestimmte Sprechweisen der Nationalsozialisten wieder Eingang in die Politik fanden: in Frankreich, in Deutschland, in den USA und in vielen anderen Ländern.

Die «Sprache des Bösen» kehrt zurück

Wenn US-Präsident Donald Trump von Ausländern als «Animals», also Tieren spreche, erinnert das Olivier Mannoni an den Begriff «Ungeziefer», mit dem Hitler alle aburteilte, die nicht seinem Ideal der arischen Rasse entsprachen.

Auch wenn die Neue Rechte in Frankreich und in Deutschland behaupten, es fände ein «Grand Remplacement», ein «grosser Austausch» statt, sieht Mannoni Parallelen zu den Erzählungen des Nationalsozialismus.

«Grosser Austausch»: Ein Blick ins Vokabular der Neuen Rechten

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«Grosser Austausch» ist eine in rechtsextremen Kreisen verbreitete Verschwörungstheorie. Einwanderung wird darin auf eine angebliche Verschwörung zurückgeführt, die das Ziel haben soll, die weisse Mehrheitsbevölkerung in westlichen Staaten zu ersetzen. Verwandte Begriffe sind «Bevölkerungsaustausch», «Umvolkung» oder «Überfremdung».

Diese Idee finde sich laut Mannoni genauso in «Mein Kampf» wieder: «Im 11. Kapitel heisst es, die Juden versuchten die Deutschen aus Deutschland zu verjagen.» Die Neuen Rechten setzten auf ähnliche Themen und Techniken wie die Faschisten von einst. Auch das soll Mannonis Arbeit aufzeigen.

Buchhinweis

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Olivier Mannoni: «Hitler übersetzen». Aus dem Französischen von Nicola Denis. Harper Collins, 2025.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Talk, 4.3.2025, 9:03 Uhr

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