Die Faust gen Himmel gereckt, Blut im Gesicht: Trump zeigt sich nach dem Anschlag heldenhaft. Für viele rechtskonservative Christliche war er schon vor der Tat eine Art Erlöser. Das Bild wird sie darin bestärken, sagt der Theologe Thorsten Dietz, ein Kenner der evangelikalen Bewegung.
SRF: Was fällt Ihnen als Theologe an den Bildern auf?
Thorsten Dietz: Erstens: Er ist am Ohr verletzt, wurde knapp verfehlt. In den USA kommt bei hochreligiösen Menschen der Gedanke auf: Wenn jemand so knapp verschont wurde, muss Gott seine Finger im Spiel gehabt haben. Es muss ein Wunder sein. Die Gebete wurden erhört, der Erwählte geschützt.
Dann die Faust: Für den «normalen» europäischen Menschen ist es nicht so sympathisch, dass er sie ballt und «fight, fight, fight» ruft. Im US-Christentum ist das anders. Es gibt dieses Konzept der «Muscular Christianity». Dort gilt: Stärke ist Ausweis göttlichen Segens. Heisst: Kämpfen für den Glauben, Kämpfen für seine Überzeugung. Das ist anders als etwa in den europäischen Kirchen, wo man sagen würde: Gott ist in der Welt gegenwärtig bei den Schwachen, in den Marginalisierten und Unterdrückten. Für viele steht Trump als starke Ikone dem zerbrechlichen Biden gegenüber.
Das Dritte ist die US-Flagge: Das spricht die Idee an, dass die USA eine «Nation under God» sind. Verbunden mit seiner Bewahrung zeigt sich eine Verschmelzung von Religion und Politik. Eine solche Amerikanisierung ist eine echte Wahlkampf-Ikone.
Viele christliche Rechtskonservative sehen in Trump einen Erlöser. Dass er überlebt hat: der endgültige Beweis, dass Gott auf seiner Seite steht?
Für diese Menschen sind die USA ein Land, das am Abgrund steht. Trump ist der Erlöser, weil er verspricht, dass er sie vor Massenmigration, dem Sozialismus und den Liberalismus etc. rettet.
Dann kann er ein Sexverbrecher sein, das machts nichts. Diese Gläubigen würden sagen: David war auch Sexverbrecher, Gott erwählt die Unwahrscheinlichen. Gott hat aus ihrer Sicht einen Mann erwählt, der gegen ihre Feinde und für ihre Werte kämpft. Sünder ist er, wie wir alle es auch sind.
Trump muss nicht gläubig sein, er muss für Glaubenswerte stehen.
Im ersten Interview nach dem Anschlag sagte er, dass er «durch Glück oder vielleicht wegen Gott hier sei». Kalkül oder die Aussage eines doch religiösen Menschen?
Trump lügt ständig, aber in dieser Frage macht er einen ehrlichen Eindruck, dass er eigentlich nicht wirklich gläubig ist. Und er heuchelt ja auch sonst nicht vor, eine Bekehrung zu Jesus Christus zu haben.
Er schätzt aber die Wählerstimmen der sehr Gläubigen und weiss, was er ihnen bieten muss und kann. Er muss ihnen nicht bieten, selbst gläubig zu sein. Das ist für ihre Ideologie nicht wichtig. Er muss sie hören und ihre Deutung positiv aufgreifen.
Denkt man als Strenggläubiger nicht: Seltsam, dass der Auserwählte nicht gläubig ist.
Viele sagen, Trump ist wie Kyros aus dem Buch Jesaja, ein persischer König in der Antike, der hat für Israel Gutes bewirkt. Der wird in der Bibel «Messias» genannt, obwohl er nicht gläubig an den Gott Israels war. Trump muss nicht gläubig sein, er muss für Glaubenswerte stehen.
Viele rechtkonservative Gläubige hat er mobilisiert. Wird er noch mehr Stimmen kriegen?
Das Spektrum der christlichen Rechten ist hochmobilisiert. Wenn Trump klug ist, setzt er auf die Entteufelungsstrategie, die wir von Rechtspopulistinnen wie Meloni und Le Pen kennen.
Wenn er es schafft, sich gemässigter zu geben, präsidial aufzutreten und sich als Opfer zu geben, nicht weiter polarisiert und verschärft, könnte er unter den wenigen Unentschiedenen manche gewinnen.
Das Gespräch führte Danja Nüesch.