Keine zwei Tage nach dem Attentat auf Ex-Präsident Donald Trump startet seine Republikanische Partei am Montag in den Parteitag in Milwaukee. An diesem soll Trump offiziell zum Präsidentschaftskandidaten gekürt werden. Was das alles für den Präsidentschaftswahlkampf heisst, erklärt Stephan Bierling.
SRF News: Die Bilder sind um die Welt gegangen: Donald Trump, der blutet und kämpferisch seine Faust in die Höhe streckt. Was bewirken diese Bilder im Präsidentschaftswahlkampf?
Stephan Bierling: Das sind natürlich ikonische Bilder, die wir jetzt dauernd sehen werden im Rest des Wahlkampfs. Das gibt Trump die Möglichkeit, sich als Opfer darzustellen. Das hat er immer schon getan als Verfolgter, als Kämpfer für die vergessenen Leute. Und das wird seinen Nimbus bei seinen Anhängern ins Extensive treiben.
Nun steht der Parteitag der Republikanischen Partei in Milwaukee an. Was bedeutet das Attentat für seine Partei?
Sie werden sich noch geschlossener um ihn scharen. Trump hat die Partei ja mehr oder weniger unter Kontrolle. Er wird jetzt der unumstrittene Star innerhalb der Partei sein, der Kämpfer, der bereit ist, sein Leben zu riskieren für die Partei. Das wird seinen Nimbus ins Unendliche steigern.
Trump hat sich ja immer schon als Opfer gesehen. Jetzt ist er eines geworden: Nützt ihm das im Wahlkampf?
Absolut. Bisher war ja seine grösste Schwäche im Wahlkampf, dass er in der Frage der Gewalt in der amerikanischen Politik immer wieder ausweichende Antworten gegeben oder sie sogar unterstützt hat. Jetzt dreht er den Spiess um und kann sagen, er selbst sei Opfer eines Gewaltakts geworden: Opfer auch der Demokraten, die ihn immer wieder als undemokratisch, ja protofaschistisch darstellten. Und damit seien die Demokraten schuld an der Verhetzung der Lage. Das spielt ihm in die Karten.
Die Polarisierung, die sich in vielen Fragen kulturell, aber vor allem auch parteipolitisch, ins amerikanische System gefräst hat, wird nur noch tiefer.
Der mutmassliche Täter war als Republikaner registriert. Die Partei steht für einen sehr offenen Umgang mit Waffen: Wird jetzt auch das liberale Waffenrecht in den USA ein Thema im Wahlkampf?
Ich glaube nicht. Der Anschlag wurde wohl mit einem Gewehr des Typs AR-15 durchgeführt. Die National Rifle Association, die grosse Waffenlobby, nannte es einst «Amerikas Gewehr». Es wäre zwar die logische Folge, solche gemeingefährlichen Waffen, die sehr viele Schüsse in kurzer Zeit abgeben können – und der Attentäter hat ja wohl acht Schüsse auf Trump abfeuern können – zu verbieten oder einzuschränken. Aber das widerspricht der grundsätzlichen Philosophie der Republikaner, und das werden sie auch nicht tun.
Die Gesellschaft in den USA ist ohnehin schon tief gespalten. Wird das Attentat diese Polarisierung noch vertiefen?
Ich befürchte ja. Alles, was wir hofften, würde die Gemeinsamkeit der Amerikaner wiederherstellen – etwa der Sturm aufs Capitol vom 6. Januar – ist am Anfang von der Mehrheit der Amerikaner verurteilt worden. Aber sehr schnell ist es Trump und seinen Anhängern gelungen, das umzuinterpretieren.
Auch dieser Anschlag wird jetzt schon von einigen als Folge des Verhaltens der Demokraten, die gegen Trump hetzten, interpretiert. Das wird der Spin sein, den die Republikaner der ganzen Geschichte geben. Und damit wird die Polarisierung, die sich ja in vielen Fragen kulturell, aber vor allem auch parteipolitisch, ins amerikanische System gefräst hat, nur noch tiefer.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.