Die Videoaufnahmen des Attentatversuchs auf Donald Trump gehen um die Welt. Kaum sind die Bilder in der Öffentlichkeit, kursieren auf Social Media die wildesten Theorien. Beispielsweise die Idee, dass der Anschlag von den Republikanern inszeniert worden sei, um Trumps Stärke im Vergleich zu US-Präsident Joe Biden zu demonstrieren. Kommunikationswissenschaftler Marko Kovic beschäftigt sich mit Verschwörungserzählungen und hat diejenigen zum Attentat analysiert.
SRF News: Es gibt Theorien, der Angriff sei inszeniert worden – an welchen Hinweisen wird das festgemacht?
Marko Kovic: Es gibt bei dieser Theorie drei wesentliche Eckpunkte. Erstens: Es kann doch nicht sein, dass ein 20-jähriger Mann einfach so in die Nähe von Trump kommt, um ihn zu erschiessen. Das muss doch irgendwie inszeniert sein. Zweitens: Es kann doch nicht sein, dass der Secret Service, die Leute, die Trump beschützen sollen, das so schlecht tut. Dann posiert Trump noch mit seiner erhobenen Faust. Und die Schüsse klingen auch komisch. Drittens: Das Ganze sieht einfach zu gut aus. Die Fotos wirken wie inszeniert, sind perfekt. Das müsse doch geplant sein, so die These.
Wie stichhaltig sind die Erzählungen, die aktuell auf Social Media diskutiert werden?
Beim ersten Punkt muss man sich überlegen: Wer hat das verschuldet? Es sind Menschen, und Menschen machen Fehler. Es ist nicht das erste Mal, dass beim Secret Service etwas schiefläuft. Es gab früher auch schon Anschläge auf Politikerinnen und Politiker. Das ist leider nichts Neues.
Warum soll eine Inszenierung so schlecht gemacht sein, dass man sie sofort erkennt? Das ist nicht sehr plausibel.
Beim zweiten Punkt muss man sich überlegen: Wenn eine grosse Verschwörung im Hintergrund ist, warum soll sie so schlecht gemacht sein, dass man sie sofort erkennt? Warum sollte, wer auch immer die Verschwörung durchführt, zum Beispiel die falschen Töne für die Fake-Schüsse, auswählen? Das ist nicht sehr plausibel.
Drittens kann man sagen: Wenn es gute Bilder gibt von so einem schockierenden Ereignis, kann es auch daran liegen, dass diverse Fotografen dabei waren, die beruflich Bilder knipsen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch in so einem Moment ein mehr oder weniger gutes Bild entsteht.
Aus welchen politischen Ecken kommen diese unterschiedlichen Ansätze, mit denen man das zu erklären versucht?
Meine Wahrnehmung ist, dass es am Anfang vor allem aus der linken Ecke Menschen waren, die diese Erzählungen verbreiteten. Trump habe das selber inszeniert, um sich als Opfer aufzuspielen, um seine Chancen bei den anstehenden Wahlen zu verbessern. Mit den Stunden kamen aber auch von rechts solche Theorien, die einfach behaupteten: Es sei Biden, der das orchestriert habe, um Trump bei den Wahlen loszuwerden. Biden habe Trump ermorden wollen.
Es sind kleine Details, die bei solchen Erzählungen unter die Lupe genommen werden. Warum stürzt man sich so darauf?
Psychologisch ist das eine Art der «hyperaktiven Mustersuche» und der hyperaktiven Suche nach Anomalien. Man schaut: Ist irgendwo ein Schatten nicht ganz korrekt, der etwas andeuten könnte? Ist ein Ton nicht so, wie ich das erwarten würde? Man verliert sich in diesen Details fast obsessiv und hat das Grosse und Ganze nicht mehr im Blick. Man überlegt sich gar nicht mehr, ob die eigene Theorie an sich plausibel ist. Man ist auf diese Details fixiert und kann drum herum eine spannende Geschichte bauen.
Warum flüchtet man sich so schnell in solche Ansätze?
Da gibt es zwei Motive. Das eine Motiv ist: Wir wollen alle Antworten haben. Solche Antworten sind jene, die immer sehr klar sind. Das gibt uns Gewissheit, das gibt einen gewissen Halt. Zweitens sind diese Geschichten eben wirklich spannend.
Diese Geschichte wird das neue JFK.
Seit über 60 Jahren wird spekuliert, wer hat JFK tatsächlich erschossen? Jetzt haben wir den Anschlag auf Trump. Wer wollte Trump tatsächlich erschiessen? Diese Geschichte wird das neue JFK.
Wir werden also noch länger von diesen Verschwörungserzählungen hören?
Das Attentat auf Donald Trump ist eine Art Jackpot für die Verschwörungsszene. Aus diesem Ereignis werden sich über die nächsten nicht nur Monate, sondern Jahre unzählige Thesen, Theorien, Empörungen speisen. Und es wird sich auch Geld damit verdienen lassen. Es gibt bereits heute ein Ökosystem an professionellen Verschwörung-Entrepreneuren, die beruflich solche Verschwörungserzählungen verbreiten.
Das Gespräch führte Silvia Staub.