Zurzeit hoch im Kurs: WC-Papier, Home-Work-out, Tutorials zum Haare schneiden (Fail-Videos folgen meist unmittelbar), Best-of-Listen, Bilder spektakulärer Wanderungen. Und nicht zu vergessen: Online-Yoga-Kurse, um zwischendurch noch kurz die eigene Mitte zu finden.
«Social distancing» verschwimmt zu «social distracting». Dies und jenes kann man lernen, schauen, machen, tun. Irgendwas Gutes muss selbst der Corona-Krise abzugewinnen sein. Die Entschleunigung des öffentlichen Lebens wird kompensiert durch Tatendrang im Privaten. Hauptsache im Schuss.
Dolce far niente? Sì prego
Oder vielleicht lässt sich das Konzept das Nichtstun im Netz einfach weniger gut vermarkten. Wer will schon der Todsünde der Faulheit bezichtigt werden? Nein, auch in der ausserordentlichen Lage müssen wir Ausserordentliches erleben.
Nachdem mein eigener kläglicher Joggingversuch in einem Drei-Tage-Muskelkater geendet hatte, fragte ich mich: Ist es an der Zeit, das Nichtstun, die Faulheit und die Langeweile von ihrem negativen Ruf zu befreien? Immerhin haben wir bereits das italienische «dolce far niente» ins Deutsche adaptiert und zu «Dolcefarniente» verhunzt.
Langeweile statt Dauerstress
Wir, die alle fünf Minuten einen Kontrollblick auf unser Handy werfen, die mittlerweile eine Konzentrationsspanne von einem Gif haben und sogar unser Stuhlgang nach dem Terminkalender richten: Sind wir überhaupt zum Nichtstun fähig?
Wer sich vor Corona als Sofa-Kartoffel probiert hat, der weiss: Nichts tun ist entspannend. Während der Langeweile findet man «quality time» mit sich selbst. Wer mit sich ein gutes Verhältnis pflegt, sollte das doch eigentlich ganz angenehm finden.
Langeweile als kleine Rebellion
In Langeweile findet man die Zeit, Gedanken nicht nur anzufangen, sondern endlich auch fertig zu denken. Sich zu langweilen ist auch, die kleine Spinne an der Decke bei ihrer Arbeit zu beobachten. Oder seinen eigenen Herzschlag wahrnehmen.
Langeweile ist das Nichts, nach dem das mit Ritalin vollgepumpte Gehirn seit langem lechzt. Langeweile ist ein Rezept gegen das ständige Optimieren und den Druck, immer etwas zu müssen – und damit ist Langeweile vielleicht sogar eine kleine Rebellion gegen die Leistungsgesellschaft.