Was mich in Zeiten des Abstandhaltens in Bedrängnis bringt: Beim Frischluft-Freigang in der Frühlingssonne auf ein flüchtig bekanntes Gesicht zu stossen.
Denn ist der Ausweichtanz absolviert und das Gegenüber in sicherer Distanz zum Stillstand gekommen, bleibt mir nun oft die Spucke weg. Lockere Konversation: Wie ging das nochmal?
Smalltalk hat's grad schwer
Ich hab den Smalltalk ein wenig verlernt. Kein Wunder: Solange Social Distancing angesagt ist, hat der einen schweren Stand. Klar, Corona, ja ja. Aber dann: Übers milde Wetter tratschen? Wird rasch lau, wenn man draussen doch kaum verweilen kann. Nachfragen, wie’s geht – und dann die eigene Befindlichkeit über den Waldweg hinweg brüllen? Na ja.
Und sonst? Die Ferienpläne sind futsch. Das Wochenende auf dem Sofa war in der Regel so so lala. Man erlebt nicht mal was, über das man nörgeln kann. Auch im Büro fällt der Kaffeeklatsch flach. Und beim Austausch per Skype & Co. fühlt man sich sozial so ungelenkig, dass man lieber rasch zur Sache kommt.
Flanieren in Gedanken
Das alles ist aber kein Grund, ins grosse Schweigen zu verfallen. Im Gegenteil: Beste Gelegenheit, nun ein paar Dingen richtig auf den Grund zu gehen – in Gesprächen oder Gedanken.
Vor lauter Nichtstun kann einem die Neugier auf sperrige Fragen packen: nach dem Sinn. Dem Sein. Und allem, was sonst so auf der Seele brennt. Die Lust auf gedankliches Flanieren sozusagen.
Klar, erzwingen lässt sich Tiefsinn nicht. Aber einen Versuch ist es wert: Die weisse Wand anstarren und den Kopf abschweifen lassen. Die WG mal fragen, woran sie so glaubt im Leben. Mit den Mit-Isolierten die Hausbar plündern und übers menschliche Dasein debattieren.
Den Freundeskreis per Facetime zum Fachsimpeln einladen. Und Fragen stellen, die Google blass aussehen lassen, dafür vielleicht einen Gedanken herauskitzeln, der einem selbst verblüfft.
Moralisch träumen? Allein lachen?
Doch gute Fragen zu stellen, ist gar nicht so einfach. Mir hilft dabei ein schmaler Klassiker: der Fragebogen von Max Frisch (Suhrkamp 2019). Ein Büchlein mit rund 350 Fragen aus 14 Lebensbereichen: etwa Freundschaft, Moral oder Humor.
Ja, manche Frage darin ist angestaubt. Andere passen wunderbar zur aktuellen Situation:
- Haben Sie Humor, wenn Sie allein sind?
- Möchten Sie ohne Freunde auskommen können?
- Träumen Sie moralisch?
- Wem empfehlen Sie, sich zu betrinken?
- Was fehlt Ihnen zum Glück?
Damit kann man nun mal loslegen. Und wenn einem am Ende zum Glück nur die Lieblingsbar um die Ecke fehlt, an deren Tresen sich die tiefgründigen Thesen immer so wunderbar verfestigen: Das Buch «Was soll das alles? Bargespräche zweier Philosophinnen» von Patrizia Hausheer und Vanessa Sonder (Arisverlag 2018) kann auch berauschen.
Es ist genau das, was der Titel verspricht: kurzweilig und klug und ein wenig weinduselig. Und eine gute Alternative, wenn man selbst beim Sinnieren nicht so recht in Schwung kommt.