In den letzten Wochen haben Kulturschaffende weltweit Position im Israel-Gaza-Krieg bezogen – oft einseitig für die Palästinenser. In einem Brief in der US-Zeitschrift Artforum, den 8'000 Kulturschaffende unterzeichnet haben, ist gar von einem «Genozid» an den Palästinensern die Rede.
Diesen umstrittenen Brief haben auch der designierte Leiter der Kunsthalle Basel und die designierte Direktorin der Kunsthalle Bern unterzeichnet. Stellt sich die Frage: Wie antisemitisch ist die Kunstszene? Die Soziologin Karin Stögner hat zu diesem Thema geforscht.
SRF: Ist es eine Mainstream-Meinung unter Kulturschaffenden, dem Staat Israel «Apartheid» vorzuwerfen?
Karin Stögner: Diese Sichtweise ist in linken Kreisen generell weitverbreitet, nicht nur unter Künstlerinnen und Künstlern. Das heisst nicht, dass alle so denken. Aber diejenigen, die es tun, treten sehr laut in den Vordergrund: Wer sich heute als links, feministisch, antirassistisch versteht, impliziert oft auch eine Palästinasolidarität.
Viele haben keine Ahnung, worum es eigentlich in diesem Konflikt geht.
Diese Solidarität ist aber meist wenig reflektiert: Häufig bringt sie nicht explizit die Solidarität für jene Palästinenserinnen und Palästinenser zum Ausdruck, die gegen die Hamas sind und die sich eine Emanzipation von islamistischen Ideologien wünschen. Stattdessen kippt diese vorgebliche Solidarität in Legitimation islamistischer Gewalt gegen Palästinenserinnen ebenso wie gegen Juden.
Dahinter steht natürlich auch die jahrelange Kampagne der israelfeindlichen BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen), die in linken und feministischen Kreisen sehr breiten Anklang findet.
SRF: Können Sie abschätzen, wie viele von jenen, die jetzt umstrittene offene Briefe unterschreiben, tatsächlich antisemitisch denken?
Das ist schwierig zu beantworten. Es zeigt sich aber, dass viele keine Ahnung haben, worum es in diesem Konflikt eigentlich geht. Sie wissen nicht einmal, welcher «River» gemeint ist, wenn sie skandieren «From The River To The Sea, Palestine Will Be Free».
Juden erfahren, dass jüdische und israelische Leben nicht betrauernswert sind.
Ich denke aber, dass es darauf auch nicht ankommt. Wesentlich ist die Wirkung, die mit solchen Demonstrationen und solchen Erklärungen erzielt wird: Denn die Wirkung auf Jüdinnen und Juden und auf Menschen in Israel ist fatal.
Sie erfahren nämlich, dass ihnen weite Teile der linken Communities, denen sie sich selbst zugerechnet haben, die Solidarität verweigern. Sie erfahren, dass jüdische und israelische Leben nicht betrauernswert sind. Das zeigt sich auch im Schweigen vieler Feministinnen zu den brutalen Vergewaltigungen der Hamas.
SRF: Welche Rolle spielen die Postcolonial-Studies, die sich mit der Geschichte des Kolonialismus auseinandersetzen, im Zusammenhang mit einer solch einseitigen Sichtweise?
Sie haben mittlerweile eine hohe Reichweite, sowohl in den Geisteswissenschaften als auch in künstlerischen Zusammenhängen. Das ist prinzipiell auch gar nicht schlecht. Aber es zeigt sich häufig eine Schlagseite hin zum Kulturrelativismus und auch hin zu einem simplifizierenden Bild: «Der Westen unterdrückt den globalen Süden und dieser leistet Widerstand.»
Man sieht hier auch, dass «Herrschaft und Rassismus» häufig nur im Westen kritisiert werden, während zum Beispiel das Thema «islamische Herrschaft und Rassismus» verschwiegen wird. Das hat vermutlich auch mit der Furcht zu tun, fälschlicherweise des Rassismus bezichtigt zu werden, wenn man islamischen Rassismus und islamische Herrschaft anspricht. So gibt es derzeit auch Stimmen, die absurderweise behaupten, es sei rassistisch, wenn man die Hamas-Terroristen als brutale Vergewaltiger verurteilt.
Das Gespräch führte Katharina Brierley.