Weihnachten ist das Fest der Freude und der Besinnung. Doch welche Bedeutung kommt der Heiligen Nacht in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft noch zu? Theologe Karl-Josef Kuschel über eine kostbare Glaubenstradition.
SRF: Wie feiern Sie Weihnachten?
Karl-Josef Kuschel: Seit 30 Jahren gehen wir mit unserer Familie zwei Wochen in ein kleines Haus am Meer. Wir erleben den Zauber des Wintermeeres und einer geschlossenen kleinen Familieneinheit. Wir lassen bewusst den Alltag hinter uns und ich lese die lukanische Weihnachtsgeschichte.
Wir feiern die Hoffnung, dass nicht die Gewalttätigen und Mächtigen die Welt beherrschen.
Das ist unser Beitrag zu einem inneren Frieden, der ja im schärfsten Kontrast steht zum äusseren Unfrieden, den wir in der Weltpolitik gegenwärtig erleben.
Was genau feiern wir zu Weihnachten?
Wir feiern einen Neuanfang, verbunden mit dem Krippenkind. Ein Anfang, wo die Welt aufhört, sich in Kriegen und Gewalt zu zerfleischen. Hier wird der universale Weltfrieden propagiert. Das ist die Kernbotschaft der lukanischen Weihnachtsgeschichte. Also die, die Lukas uns erzählt.
Dieses Krippenkind wird zum Symbol eines Friedens von unten, von den Völkern. Wir feiern die unauslöschliche Hoffnung, dass nicht die Gewalttätigen und Mächtigen und Reichen die Welt beherrschen. Sondern eine Art Gott.
Weihnachten hat nicht nur eine genuin christliche Bedeutung, sondern auch einen interreligiöse. Inwiefern hat Weihnachten eine Bedeutung im Islam?
Als ich anfing, den Koran zu studieren, habe ich entdeckt, dass viele biblische Geschichten und Figuren eine Rolle spielen im Koran.
Es ist vielleicht auch kein Zufall, dass Maria im Koran eine wichtige Rolle spielt.
Die Geburt Jesu ist auch im Koran ein Zeichen von Gottes Barmherzigkeit – Jesus kommt als Friedensbringer auf die Welt. «Ich bin ein Mann des Friedens und kein unseliger Gewalttäter», heisst es in Sure 19.
Interessant scheint mir im Koran die Bedeutung der Maria zu sein, der Koran scheint förmlich marienzentriert zu sein.
Ja, es wird weder über Bethlehem noch über Josef gesprochen. Maria gebiert ihr Kind nicht in einem Haus oder in einem Stall, sondern am Stamm einer Palme. Aber diese koranische Maria hat Todesangst.
Als ihre Wehen einsetzen, sagt sie: «Wär’ ich doch gestorben.» Sie ist überfordert. Und dieses Motiv, dass Maria Angst hat, also als Frau Angst hat, Mutter zu werden, zumal sie ja auch keinen männlichen Beschützer neben sich hat, das ist neu.
Weihnachten ist der immer wieder neue Versuch, der eigenen Resignation, Verzweiflung oder auch Gleichgültigkeit zu entkommen.
Dieses Motiv ist kostbar. Es zeigt, dass die koranische Maria zutiefst menschlich gedeutet wird, als Frau, die menschliche Regungen zeigt. Deshalb ist es vielleicht auch kein Zufall, dass Maria im Koran eine solche wichtige Rolle spielt. Sie ist die einzige mit Namen erwähnte Frau im ganzen Koran.
Was können wir tun, um Weihnachten nicht nur als eine Form von Konsum zu erleben?
Weihnachten ist Hoffnung auf Frieden und Religion ist für mich Gewissensbildung. In diesem Sinne ist Weihnachten ein zyklisches Fest: der immer wieder neue Versuch, der eigenen Resignation, Verzweiflung oder auch Gleichgültigkeit zu entkommen. Diese Friedensbotschaft fängt im Inneren an und soll auf Familie und die Welt ausstrahlen.
Wenn zum Beispiel christliche und muslimische Gemeinden stärker Friedensgrüsse austauschen würden und so zu Friedensgesten fähig sind, wäre das ein wichtiges Zeichen der Religionen in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft. Sie würden damit sagen: «Seht her, wir können friedlich miteinander umgehen, weil unsere heiligen Schriften uns das erzählen.» Die Religion ist ein friedensstiftendes und nicht ein spalterisches Element.
Das Gespräch führte Milad Ahmad Karimi.