Wenn es um das Stichwort KI geht, sind polarisierte Kommentare nicht weit. Die einen sehen den nahenden Untergang, die anderen wittern einen genialen Kreativitäts-Booster.
Darum hat der deutsche Literatur- und Medienwissenschaftler Hannes Bajohr ein Experiment gewagt: Er hat künstliche Intelligenzen zur Romanproduktion genutzt. Dazu hat er vier Romane aus der deutschen Gegenwartsliteratur als Lernmaterial für Sprach-KIs eingesetzt. Die KIs arbeiten nach dem Prinzip der Textvorhersage. Basierend auf den zur Verfügung stehenden Informationen berechnet das Sprachmodell jeweils das wahrscheinlichste nächste Wort.
Komisch und überfordernd
So hat Hannes Bajohr die KI einen ganzen Roman schreiben lassen – Satz für Satz. Sein Eingriff beschränkte sich auf die Auswahl der Texte für das Training der KI sowie auf die Entscheidung, ob der jeweils generierte Satz ins Buch aufgenommen wird.
Was das Resultat dieses Experiments beim Lesen auslöst, lässt sich kaum in Worte fassen. Weit entfernt von einem herkömmlichen Roman ist es gleichzeitig überfordernd, komisch, absurd und inkohärent.
Wie ein Fiebertraum
Verschiedene Figuren, Orte und sogar ansatzweise Handlungsstränge sind erkennbar. Die Erwartungshaltung, dass diese in einen logischen Zusammenhang zueinander gebracht werden, löst «(Berlin, Miami)» aber bei Weitem nicht ein.
Stattdessen liest man sich wie in einem Fiebertraum durch ein wirres Nebeneinander von Szenen, abstrusen Dialogfetzen und Beschreibungen, denen man kaum Bedeutung abgewinnen kann.
Ein Beispiel: «Als Kind hatte ich ein Gebiss, das eine unkonventionelle Einteilung zwischen einem Kieferling und einem Teichenkopf anzeigte. Der Kieferling war in der Kraft verwurzelt, der Teichenkopf durch eine äusserst schlanke Basis gefestigt, die den Kiefer in demselben Moment, als die Beine sich schüttelten, aus dem Kieferling herauszog.»
«Kieferling» und «Teichenkopf» sind Wortschöpfungen der künstlichen Intelligenz. Das ist beeindruckend, aber trotzdem ergibt nichts an dieser Textstelle Sinn, auch nicht im Kontext des ganzen Buchs.
Sinnlose Sinnsuche
Wer beim Lesen den Sinn sucht, wird bitter enttäuscht. Und doch findet man immer wieder literarische Versatzstücke: Etwa Liebesepisoden oder längere Passagen in Ich-Perspektive – jedoch nur, damit sich im Folgesatz alles durch einen völlig falschen Anschluss in Luft auflöst.
Genau darin liegt eine von Hannes Bajohrs Erkenntnissen aus diesem Experiment. Für ihn liegt die Unverständlichkeit des Buchs daran, dass die verwendeten KI-Sprachmodelle keine logischen Folgerungen mit der Verknüpfung «weil» bilden können. Stattdessen hängen sie Elemente einfach mit «und dann» aneinander.
Absurditäten en masse
Das Resultat animiert wegen seines hohen Absurditätsgehalts immer wieder zum Lachen. Es verlangt aber auch eine grosse Nonsens-Toleranz. Ausserdem mag es all jene ein wenig beruhigen, die Angst vor der grossen KI-Flut auf dem Literaturmarkt hatten. Mehr als einfach gestrickte Groschenromane oder Billigkrimis schreiben solche Sprachmodelle ohne Zutun kundiger Menschen wohl nicht so schnell.