Seit 16 Jahren betreibt Pater Mykhaylo Chaban das Waisenhaus Pokrova in Lwiw. 65 Jungen zwischen sechs und 17 Jahren betreut er dort.
Seit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine sind 20 Kinder neu dazugekommen. Alle haben Furchtbares erlebt und sind schwer traumatisiert, so der Pater, der dem römisch-katholischen Orden der Salesianer Don Boscos angehört.
Wie schwer, offenbart sich dem Pater mit jedem einzelnen Schicksal seiner Schützlinge von Neuem: «Wir haben ein Kind, das seine Mutter tot unter dem Theater in Mariupol gefunden hat. Oder drei Jungen, die fragen, warum sie ihre Mutter telefonisch nicht erreichen können. Wir bereiten sie darauf vor, ihnen zu sagen, dass sie tot ist.»
Es fehlt an Psychologinnen und Psychologen
Die Verantwortung, die auf Pater Mykhaylo lastet, ist gross. Ihm ist aber auch bewusst, «dass das psychologische Angebot den Kindern hilft, wieder ins Leben zurückzukommen».
Neben der Betreuung der traumatisierten Waisenkinder sei die grösste Herausforderung, überhaupt Psychologinnen und Psychiater zu finden, die sich auf Kriegstraumata spezialisiert hätten. Und die fehlten im ganzen Land, nicht nur in Lwiw.
Dabei ist die Situation für die Waisenkinder in Lwiw weniger prekär als für die Kinder in den umkämpften oder russisch besetzten Gebieten. Dort entführen russische Soldaten ukrainische Kinder, um sie in Russland zur Adoption freizugeben. Waisenkinder sind dabei ein leichtes Ziel.
Alle helfen allen
Den Mangel an Psychologinnen und Psychiatern kann Mykhaylo Chaban allein kaum auffangen. Deshalb packen im Waisenhaus Pokrova alle an. Die Älteren helfen den Jungen – so gut es eben geht.
«Wir spielen zusammen mit ihnen. Aber wir sehen auch, dass die Jungs sehr grosse Angst vor Menschen und Geräuschen haben. Wir geben unser Bestes, um ihnen zu helfen», erzählt der 17-jährige Vlad. Er lebt seit sechs Jahren im Waisenhaus.
Alltag schaffen, so gut es geht
Nicht nur die kriegstraumatisierten Neuankömmlinge müssen sich auf die neue Situation einstellen. Auch für die Kinder, die schon vor Kriegsbeginn in Pokrova gelebt haben, sind die vielen Neuen eine Herausforderung. Damit sie im Waisenhaus einen halbwegs geregelten Alltag haben, nimmt Pater Mykhaylo heute nur noch ein Waisenkind alle paar Wochen auf.
Doch die Traumata der Kinder sind nicht das einzige Problem. Hinzu kommt die ständige Angst und Unsicherheit, «weil man nie weiss, wann die Sirenen oder der Luftalarm kommen und wann man sich verstecken soll», so der 17-jährige Vlad.
Je näher die russischen Truppen kommen, desto schneller müssen alle Kinder evakuiert werden.
Solange Krieg sei, müsse man möglichst viele Familien in den umkämpften Gebieten zur Flucht bewegen, erklärt Mykhaylo Chaban. Dies, damit nicht noch mehr Kinder zu Waisen würden und ins russische Adoptivsystem entführt würden, erklärt Mykhaylo Chaban. «Je näher die russischen Truppen kommen, desto schneller müssen alle Kinder evakuiert werden.»
Welche Zukunft für die Waisen?
Pater Mykhaylo würde gerne mehr tun. Doch die Kinder in Sicherheit zu bringen, sei primär Staatsaufgabe, sagt er. Gerne würde er sie auch an Familien vermitteln. Doch Adoptionen sind während des Krieges untersagt.
Mit Spenden aus der Schweiz an die Salesianer Don Boscos hat er nun immerhin einen Bunker für die Schule bauen können, auf die die Kinder gehen.
Vor dem Krieg hat Mykhaylo an einem System zur professionellen Adoptionsvermittlung gearbeitet. Der Pater hofft, sich dieser Arbeit nach dem Krieg wieder widmen zu können.