Kinder aus Kriegsgebieten tragen Folgen vom Erlebten davon - in der Entwicklung, sei es psychologisch, schulisch, körperlich. Es gibt aber Mittel, um Kriegstraumata zu behandeln und wieder ins Leben zurückzufinden. Genau damit beschäftigt sich auch das Ambulatorium für Folter und Kriegsopfer vom Schweizerischen Roten Kreuz (SRK).
SRF News: Wie äussert sich ein Kriegstrauma bei Kindern überhaupt?
Martine Scholer: Das äussert sich sehr unterschiedlich. Es gibt Kinder, die sich total zurückziehen, sehr verängstigt sind, den Kontakt nicht mehr suchen, auch nicht zu anderen Kindern. Andere Kinder sind hyperaktiv, total unruhig und müssen sich ständig bewegen, können sich auf nichts konzentrieren. Was auch auffällig ist, sind Schlafstörungen und das Einnässen. Dieses Zurückversetzen in der Entwicklung nennt man regressives, also nicht altersentsprechendes Verhalten. Das sind Stressreaktionen. Auch Lern-, Merk- und Konzentrationsfähigkeit nehmen ab. Der Stress ist ständig im Körper und lenkt die Kinder ab.
Wie hilft das SRK Kindern und Jugendlichen, damit umzugehen?
Wir haben vor einigen Jahren das Programm «Start» entwickelt. Wir haben es aus Deutschland übernommen. Das ist ein niederschwelliges Gruppenangebot für Kinder und Jugendliche, das darauf abzielt, dass die Kinder altersgerecht und im Austausch mit anderen Kindern und Jugendlichen erleben, dass ihre Reaktionen normal sind, dass sie sehr individuell reagieren auf Stress, dass sie auch merken, wie Körper und Gefühle beeinflusst werden und wie sie sich selber beruhigen können.
Das ist ganz wichtig für die Stabilisierung der Kinder: Dass sie merken, sie können etwas tun.
Es sind viele Achtsamkeits-, Gruppen- und individuelle Übungen. Jedes Kind lernt, was ihm guttut; Bewegung oder zur Ruhe kommen, etwas Saures in den Mund nehmen als Ablenkung. Vielleicht das Gesicht kalt waschen, vielleicht eine schöne Zeichnung malen. Vielleicht kann ich mich an einen schönen Ort, der mich beruhigt, hin wünschen, mir ein Bild davon machen? Solche Übungen werden in der Gruppe durchgeführt und man spricht darüber und erkennt, dass man etwas tun kann. Das ist ganz wichtig für die Stabilisierung der Kinder: Dass sie merken, sie können etwas tun.
Warum ist es so wichtig, zu merken, dass sie etwas tun können?
Das hat mit der Funktionsweise des Gehirns zu tun. Dieser ständige Stress führt dazu, dass das die Konzentration abnimmt, die Fähigkeit, die eigenen Gefühle zu kontrollieren. Und dieser Stress führt auch dazu, dass die Kinder nicht in der Lage sind, zu verstehen, was mit ihnen passiert. Und wenn sie merken, sie selber können etwas unternehmen, hilft das sehr. Auch das Gefühl, wieder Kontrolle darüber zu bekommen.
Kinder leben im Moment und müssen die Fähigkeit wieder erlernen, sich wirklich auf den Moment zu konzentrieren, auf ihre Bedürfnisse.
Das ist ein wesentlicher Beitrag, neben dem, dass sie erkennen, dass das ganz normale Reaktionen sind; dass andere, die Schlimmes erlebt haben, ähnliche Reaktionen haben. Sie haben eine sehr gute Ausgangslage, mit schwierigen Situationen umzugehen, weil Kinder in der Regel im Moment leben, viel mehr als Erwachsene, die sich gedanklich häufig irgendwo in der Vergangenheit oder in der Zukunft befinden. Kinder leben im Moment und müssen die Fähigkeit wieder erlernen, sich wirklich auf den Moment zu konzentrieren, auf ihre Bedürfnisse.
Das Gespräch führte Corina Heinzmann.