Der Krieg, er ist nicht nur in den Nachrichten, sondern auch in den Köpfen der Kinder angekommen. Dies sorgt auch in den Familien für Unsicherheit: Wie soll man Kindern den Krieg erklären? Psychotherapeutin Thanh Thuy Ott zeigt auf, worauf zu achten ist, um den Kindern eine sichere Basis zu vermitteln.
SRF News: Wie würden Sie einem Kind die aktuelle Kriegslage schildern?
Thanh Thuy Ott: Das ist vom Alter, der Entwicklung und Persönlichkeit des Kindes sowie der persönlichen Betroffenheit abhängig. Im Allgemeinen gilt es, mit einer einfachen, kindgerechten Sprache zu vermitteln, dass einzelne Menschen eines Landes über ein anderes Land bestimmen möchten. Um ihr Ziel zu erreichen, sind diese zu gewaltsamem Streit bereit.
Ist es grundsätzlich geboten, mit Kindern über Krieg und Gewalt zu sprechen – und wenn ja, wie?
Ja, wenn Kinder mit Fragen an uns treten, sollten wir kindes- und altersgerecht auch zu diesem schwierigen Thema antworten. Es ist auch eine Gelegenheit, dem Kind grundsätzliche Werte und ein Verständnis über die Weltordnung zu vermitteln. Eltern können in der Regel gut einschätzen, was ihr Kind braucht. Wenn Kinder beispielsweise keine Fragen haben, sollte eine Auseinandersetzung mit dem Thema von den Eltern nicht erzwungen werden.
Es ist eine Gelegenheit, dem Kind grundsätzliche Werte und ein Verständnis über die Weltordnung zu vermitteln.
Aufgrund der Dominanz dieses aktuellen Themas kann beim Kind auch aktiv nachgefragt werden, ob unter den Kindern in der Schule oder in der Klasse darüber gesprochen wird. So erhält man je nachdem die Information, wie die Wahrnehmung und das Verständnis des Kindes zu dem Thema ist. So kann auch bei Kindern, denen es schwerfällt, von sich aus über schwierige oder belastende Themen zu sprechen, über diesen Weg eine Gesprächsgelegenheit eröffnet werden.
Sollte man Kinder von den Medienberichten fernhalten – um sie nicht ständig mit Kriegsbildern zu konfrontieren?
Dies ist heutzutage gar nicht möglich. Im familiären Rahmen hat man noch eher den Überblick darüber, mit welchen Medien die Kinder in Kontakt kommen. In der Welt «draussen» geht dies jedoch nicht: Mit Gratiszeitungen, Bildern und Filmen auf Handys etc. kommen sie unkontrolliert mit entsprechenden Inhalten in Kontakt. Es ist daher wichtig, den Kindern frühzeitig einen Umgang mit verschiedenen Medien zu vermitteln, damit sie für sich eine persönliche Abgrenzung finden.
Es ist wichtig, den Kindern frühzeitig einen Umgang mit verschiedenen Medien zu vermitteln, damit sie für sich eine persönliche Abgrenzung finden.
Kindgerechte Alternativen wie Kindernachrichten, Bücher oder ein Austausch mit anderen Kindern im Unterricht begleitet durch eine Lehrperson sind sinnvoll für eine konstruktive Auseinandersetzung. Es ist hingegen nicht zu empfehlen, den Kindern etwas vorzuenthalten oder die Situation zu verharmlosen, wenn sie im Alltag sowieso damit konfrontiert werden und sie sich damit beschäftigen. Wichtig ist, dem Kind zu vermitteln, dass sie bei Ängsten und Unsicherheiten oder wenn sie Fragen haben jederzeit auf die Eltern zukommen können.
Es ist nicht zu empfehlen, den Kindern die Situation zu verharmlosen, wenn sie im Alltag sowieso damit konfrontiert werden.
Wie gehen Kinder mit der aktuellen News-Flut um?
Die einen reagieren mit Unsicherheit, Ängsten bis hin zu Schlafstörungen. Verstörende Bilder können die Kinder aufwühlen und Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit haben. Viele Kinder stellen Fragen und können durch kindergerechte und sachliche Antworten wieder an Sicherheit gewinnen. Die Betroffenheit einzelner Kinder kann sehr unterschiedlich sein und ist unter anderem vom persönlichen Bezug von Menschen im eigenen Umfeld zu dem Thema abhängig. Vor allem empathische und sehr mitfühlende Kinder reagieren eher emotional, ängstlich und/oder hilflos.
Viele Kinder können durch Fragen Sicherheit gewinnen.
Wir alle machen uns Sorgen. Trotzdem ist es ratsam, Gespräche auf Erwachsenenebene über dieses Thema nicht zu regelmässig im Beisein von Kindern zu führen. Auf der anderen Seite wird in den Nachrichten auch über Reaktionen auf den Krieg informiert: Spendenaufruf, Unterstützung für die Bevölkerung durch viele Länder, Demonstrationen etc. Hierüber kann dem Kind auch vermittelt werden, dass ein Umgang und eine Unterstützung auch bei einem solch schwierigem Thema möglich ist.
Welchen Umgang würden Sie Kindern raten, wenn sie betroffene ukrainische oder russische Bekannte haben?
Einen offenen, respektvollen und solidarischen Umgang: Besteht eine Freundschaft untereinander, würde ich die Kinder anleiten, einander zuzuhören, nachzufragen, Hilfe anzubieten und vor allem im Hier und Jetzt weiterhin miteinander zu spielen. Die Kinder sollen das Verständnis haben, dass ihre Herkunft alleine keinen Grund darstellt, die Beziehung zueinander neu zu gestalten bzw. dass ihre Freundschaft deswegen nicht kaputtgehen muss. Was in den Herkunftsländern passiert, soll nicht auf unser Leben hier übertragen werden. Abhängig von der vorherrschenden Meinung und dem Einfluss der Familie kann ein Kind dabei jedoch auch in ein Dilemma geraten.
Was in den Herkunftsländern passiert, soll nicht auf unser Leben hier übertragen werden.
Wie viele Informationen können wir Kindern zumuten, ohne zu viele Ängste zu schüren?
Was und wie viel ein Kind erträgt, ist sehr individuell. Grundsätzlich ist es wichtig, feinfühlig auf Fragen einzugehen und das Kind nicht zu überfordern. Dabei ist es auch wichtig, zuerst bei sich zu schauen, wie fest man von eigenen Gefühlen geleitet wird, um dies nicht zu stark auf das Kind zu projizieren. Es geht schlussendlich nicht um die Frage, wie viel Elend und Informationen zugemutet werden können, sondern, wie man mit Widrigkeiten, Belastungen und Sorgen umgehen kann.
Das Gespräch führte Antonia Jochberg.