Es sind herzzerreissende Szenen der Wiedervereinigung, die sich in Kiew abspielen, als 31 ukrainische Kinder aus einem Bus aussteigen. Die Gruppe sass monatelang in Russland oder auf der Halbinsel Krim fest und konnte von der NGO «Save Ukraine» aufgespürt und zurückgebracht werden. Ihre Geschichten sind sehr individuell.
Einziger Fluchtweg führt nach Russland
Die 11-jährige Albina und der 9-jährige Danilo wurden vor einem Jahr aus der Region Charkiw evakuiert, als die Kämpfe immer näherkamen. Der einzige Fluchtkorridor war der nach Russland. «Wir hatten das Gefühl, keine Wahl zu haben. Wir hatten Angst um die Kinder», erzählt die Tante Jana Uzkowa.
Erst später hörte sie Berichte, dass ukrainische Kinder in Russland zur Adoption freigegeben werden, obwohl sie noch Angehörige in der Ukraine haben. Deshalb wendete sie sich an die NGO. «Wir wussten nicht, wie wir die Kinder hätten zurückholen sollen. Wir dachten schon, wir sehen sie nie wieder.»
Ferienlager auf der Krim als Deckmantel
Auch Irina Schwetsowa aus der Stadt Cherson war lange verzweifelt. Ihr Sohn Bogdan fuhr im Sommer in ein Ferienlager auf die annektierte Halbinsel Krim. Solche kostenlosen Sommercamps haben in der Ukraine Tradition. Doch diesmal wurden die Kinder und Jugendlichen nicht mehr zurückgebracht, gegen Willen der Eltern.
«Sie haben gesagt, es sei zu gefährlich nach Hause zu fahren», erklärt der 13-Jährige. Sechs Monate lang wurde er an einer Heimfahrt gehindert. Irina Schwetsowa hatte die Situation falsch eingeschätzt, weil das Ferienlager ein Vorschlag der Schule war. Doch die Stadt Cherson war damals von Russland besetzt und die Schulbehörden russisch kontrolliert.
Die Suche ist kompliziert
Die NGO «Save Ukraine» befasst sich mit solchen Fällen. Fünf Missionen sind der Organisation bereits geglückt. 126 Kinder und Jugendliche sind wieder bei ihren Familien. Doch nicht alle haben Glück. Gemäss einer Datenbank der ukrainischen Regierung sollen mittlerweile mehr als 19'000 Kinder unter 18 Jahren deportiert worden sein. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich höher.
In dieser hohen Zahl liege auch die Hauptschwierigkeit, erklärt «Save Ukraine»-Gründer Mikola Kuleba. «Es ist sehr schwierig, die Kinder überhaupt zu finden, zu identifizieren. Die Russen ändern immer wieder den Aufenthaltsort der Kinder und versuchen aktiv, jede Rückkehr zu blockieren.»
Wenn Eltern auf eigene Faust nach Russland reisen, um ihre Kinder abzuholen, werden sie oft schikaniert, so Kuleba. «Sie werden stundenlang vom Geheimdienst verhört. Ihnen wird Angst gemacht. Den Kindern wird erzählt, ihre Eltern würden sie nicht mehr wollen.»
Rettungsmissionen sind auch für die NGO-Helferinnen und Helfer aufwendig und riskant. Die direkten Grenzübergänge sind geschlossen. Deshalb muss die Reise über Polen und Belarus erfolgen.
Dass die Rückführung so schwierig ist, liege daran, dass der rechtliche Rahmen fehle, sagt die ukrainische Anwältin für Menschenrechte Ewgenia Kapalkina, die «Save Ukraine» berät. «Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt kein Abkommen zwischen der Ukraine und Russland, welche diese Frage regelt. Es braucht eine Beteiligung von Drittstaaten oder humanitären Organisationen, die als Vermittler auftreten».