Im Krieg zwischen der Hamas und Israel sehen viele Evangelikale die Endzeit angebrochen. Sie geloben kompromisslose Solidarität mit Israel und beten für das Kommen Jesu «als Messias Israels».
Ihre Nähe zu Israel bekunden sie durch etliche Mahnwachen und Gebete, Videos über Israels Rolle im göttlichen Heilsplan, Spendenaufrufe auf christlichen Websites, tägliche Newsletter und millionenfach geklickte Lobpreismusik.
Doch Schweizer Freikirchen mahnen zu Besonnenheit.
«Judenmission» aus Liebe?
Für den Uni-Theologen Thorsten Dietz hat die «christliche Israelliebe» eine klare Funktion: Im starken Endzeitglauben der Evangelikalen werde jede «Bekehrung» eines jüdischen Menschen zu Jesus als messianisches Zeichen begrüsst. Damit rücke die Wiederkehr Jesu näher, die messianische Endzeit. Darum nennen sich solche Getauften auch «messianische Juden».
In Israel gibt es rund Zehntausend «messianischer Juden». Als Getaufte gehören sie aber nicht (mehr) zum Judentum. Das ignorieren Evangelikale jedoch und sprechen weiter vom «messianischen Israel», das sie mit Geld aus dem Ausland, vor allem aus den USA, unterstützen.
Gründung Israels als göttliches Zeichen
Als mit dem Zionismus und der späteren Gründung des Staates Israel 1948 Jüdinnen und Juden «heimkehrten», erfüllte sich aus evangelikaler Sicht eine biblische Prophetie. Das Kommen Jesu rücke näher. Dies löste eine Naherwartungswelle unter evangelikalen Christinnen und Christen aus und mobilisierte die christliche Israel-Lobby in den USA. Spätestens seit Ronald Reagan nimmt sie Einfluss auf die US-Politik.
In Amerika sind auch die «Jews for Jesus» zahlreicher. US-Evangelikale unterstützen deren Auswanderung nach Israel. Der Oberste Gerichtshof Israels erkennt die sogenannten «messianischen Juden» aber nicht an. Mission unter jüdischen Israeli war lange verboten. Der Staat Israel sollte das Land sein, in dem alle unbehelligt jüdisch sein und bleiben können.
Von «Judenmission» distanzieren sich heute auch die römisch-katholische und die meisten protestantischen Kirchen. Auch der Schweizer Freikirchenverband übt Zurückhaltung und steht sogar in Dialog mit «echten» Juden und Jüdinnen.
Gegen Israelhass und «Israelverklärung»
Freikirchenleiter Peter Schneeberger betont die tiefe Solidarität mit dem Staat und dem Volk Israel, also mit dem politischen und religiösen Israel. Antisemitismus verurteilt der Freikirchenverband Schweiz scharf. Er tut dies selbstkritisch und benennt überzogene Israelkritik und Antisemitismus in den eigenen Reihen. Gleichzeitig – auch das ist neu – kritisieren die Freikirchen «Israelverklärung», also übertriebene Israelliebe in ihren Kreisen.
Auch Thorsten Dietz von der Deutschschweizer reformierten Bildungsarbeit warnt vor der unseligen Vermischung von Politik und Glaube. Das ist aber bei «Israel» schwer auseinanderzuhalten.
Israel polarisiert, auch im Christentum
Zu stark sind die christlichen Projektionen auf Land, Staat und Volk Israel, das Judentum. Zu schwer ist auch die Mitschuld des Christentums an bald zwei Jahrtausenden Judenhass.
Thorsten Dietz sieht in übersteigerter Israelliebe gar ein Symptom für die Verdrängung christlicher Mitschuld am Holocaust. Nur: Diese christliche Schuld macht auch nicht wieder gut, wer Israel heute christlich vereinnahmt. Solche Liebe kann auch ersticken.