In Plovdiv herrscht diese Tage ein reges Treiben. In sechs Monaten übernimmt die alte Stadt im Südosten Bulgariens den Titel Kulturhauptstadt Europas. Rund zwei Millionen Besucher werden erwartet und mehr als 300 Events sind geplant.
Grosse Infrastrukturprojekte rund um den Hauptplatz sind zwar noch nicht fertiggestellt. Doch Darsteller proben bereits für ihre Auftritte. So auch für das altgriechische Stück «Medea» von Euripides.
Dabei werden sie von jungen Roma, Türken und Armeniern unterstützt. Diese Mischung soll den Zusammenhalt in der Bevölkerung fördern.
Denn: Die zweitgrösste Stadt Bulgariens floriert, Jungunternehmer und Kreative fühlen sich hier wie zu Hause. Doch Minderheiten, vor allem die 80’000 Roma, sind von dieser Entwicklung ausgeschlossen.
Die meisten von ihnen leben in Stolipinovo, einem der grössten Roma-Ghettos Europas. Der soziale Frieden in Plovdiv ist oft eine Herausforderung.
Zivilgesellschaft initiiert die Bewerbung
Die Gruppe von Kulturschaffenden, die sich vor fünf Jahren für die Kandidatur der bulgarischen Stadt um den Titel Kulturhauptstadt 2019 zusammengetan hat, scheute diese Tatsache nicht.
Im Gegenteil. In der Begründung stand sie als Trumpf: Wenn es Plovdiv gelingen würde, Konflikte durch Kultur zu mildern, hätte das einen Vorzeigecharakter für alle grossen europäischen Zentren.
Mariana Tscholakova gehört zu den Gründern der Initiative. Sie ist Dozentin für Kulturproduktion und deutsche Honorarkonsulin in Plovdiv.
Tscholakova sagt: «Ein Grossteil der sozialen Probleme kann nicht nur mit Sozialarbeit bekämpft werden. Man muss auch Instrumente der Kultur und der Bildung heranziehen.» Das Motto der Bulgaren heisst deshalb «Together» – zusammen.
Kulturschaffende vs. Politiker
Wie der Titel «Kulturhauptstadt Europas» für einen neuen Umgang mit Konflikten und Kultur eingesetzt werden soll, darüber gehen die Meinungen von Bürgervertretern und Politikern auseinander.
Im Vorfeld von «Plovdiv 2019» wurden widerspenstige Kulturschaffende vom Vorstandsrat verdrängt. Ein Kritiker ist der Verleger Manol Pejkov. Er ist davon überzeugt, dass durch solche Praktiken das ganze Projekt der Kulturhauptstadt leidet.
«Der Fokus weicht langsam von unseren ursprünglichen Ideen ab. Stattdessen werden Events forciert, die eher einen Vergnügungscharakter haben. Wir hatten anspruchsvolle Ausbildungen für Kulturmanager vorgesehen, auch eine Zusammenarbeit zwischen jungen Kulturmanagern und europäischen Partnern. Der Massstab ist nun bedeutend kleiner geworden. Leider. Nicht das Ereignisjahr 2019 selbst ist wichtig. Wichtig ist, was bleibt. Ob wir im Jahr 2020 als eine reifere Gesellschaft und bessere Stadt aufwachen oder nicht.»
Ein neues Selbstbewusstsein?
Ivajlo Dernev, Journalist bei der Onlinezeitung «Pod Tepeto», findet hingegen das Programm gut. Er hofft, dass in dem Rausch um die internationalen Besucher und erstklassige Events das Gemeinschaftsgefühl in Plovdiv erstarkt.
«Für mich ist es wichtig, dass sich die ganze Stadt mit dem gigantischen Kulturprojekt identifiziert. Dass man sich denkt: Das ist mein Projekt. Aber auch das Projekt der Künstler, die im Atelier nebenan arbeiten, eines kleinen Kulturvermittlers, des Armeniers um die Ecke. Dass sogar der Taxifahrer davon spricht! So einen Zusammenhalt erhoffe ich mir». Diesen nachhaltigen Zusammenhalt könnten integrative Projekte wie «Medea» vom Kulturprogramm Plovdiv 2019 fördern.