Vessi hätte nie gedacht, dass sie einmal hier stehen würde. In diesem Laden, in dem es nach Terpentin riecht, gewebter Wolle und frisch bemaltem Holz. Die einstige Elektroingenieurin steht hinter dem Tresen, auf der blauen Schürze bunte Tupfer, als wäre sie soeben durch einen Regenbogen gelaufen.
Sie hält kleine Kästchen ins schummrige Licht. Die macht sie selber, bemalt sie mit bunten Motiven. Alles in diesem Laden ist handgemacht. «Chinesischer Plunder hat bei mir Hausverbot», sagt sie.
Ein Land in Aufruhr
Vessi heisst eigentlich Vesselka Todorova. Dass sie heute Souvenir-Verkäuferin in einer der schönsten Altstädte Europas ist, hat mit politischen Wirren der 1990er-Jahre zu tun.
«Damals war ich 23 und das Land in Aufruhr», erzählt Todorova. «Der Chef der kommunistischen Partei wurde gestürzt. Die Firma, in der ich arbeitete, machte sich selbstständig. Zuerst lief es gut, doch korrupte Politiker wirtschafteten Bulgarien zielstrebig in Grund und Boden. Tausende Betriebe gingen pleite. Auch meiner.»
Todorova und ihr Ehemann begannen, Souvenirs zu verkaufen. Zuerst in den Wintersportorten der Rhodopen, dann an der bei westeuropäischen Touristen beliebten bulgarischen Schwarzmeerküste.
Bunte Wunderwerke aus alten Zeiten
Damals hatten alle das gleiche Sortiment. «Das ärgerte mich», sagt Todorova. «Überall entdeckten wir Menschen, die noch alte Handwerke beherrschten, die wunderbare Keramiken herstellten mit den für Bulgarien so typischen Farben und Mustern, Frauen, die webten und stickten wie in alten Zeiten.»
Todorova und ihr Mann setzten auf traditionelles Handwerk und 100 Prozent Handarbeit. «Vor allem wollten wir Dinge anbieten, die nicht irgendwo verstauben. Ich bin eine Frau», lacht sie, «Ich achte auf den praktischen Mehrwert.»
«Die Touristen haben sich verändert»
Die Tür geht auf. Zwei junge Menschen stolpern herein, huschen durch den Raum, sind wieder weg. Todorova schüttelt den Kopf.
«Die Touristen haben sich verändert. Seit Jahren spüre ich eine zunehmende Kulturlosigkeit. Früher grüsste jeder. Manche befühlten die Stoffe, stellten Fragen. Haben Sie irgendein Wort von den beiden gehört? Ich nicht.»
Auch das Kaufverhalten habe sich geändert. Manche Touristen, sagt Todorova, wirkten geradezu verängstigt. Als sei jeder, der diesen Laden betritt, gezwungen, etwas zu kaufen.
Ähnliche Beobachtungen würde auch die Kollegin im Nachbargeschäft machen, wo es handgewebte Teppiche gibt wie aus «Tausendundeine Nacht».
Alternde Schönheit
Todorova verkauft nicht nur Handwerk, sondern auch Bilder bulgarischer Maler. Meist sind es Motive aus Plovdiv. Die Stadt weist mit über 1000 Malern und Grafikern die höchste Künstlerdichte im Land auf.
Wer das mehr als 1000 Jahre alte Pflaster zu Todorovas Geschäft hinaufsteigt, kommt vorbei an römischen Bauten, antiken Ziegeln und den Prachtbauten der bulgarischen Renaissance. Wegen dieses kulturellen Reichtums wird Plovdiv 2019 Kulturhauptstadt Europas.
Je älter, desto schöner
Ob sie sich auf ein gutes Geschäft freue? «Wir haben zu viel Hoffnung verloren, als dass wir noch auf irgend etwas hoffen würden», sagt Todorova.
«Aber Plovdiv hat bisher noch jeden und alles überstanden. Je älter meine Stadt wird, umso schöner wird sie. Ich freue mich über jeden, der kommt und sie sich ansieht. Wenn ich dann dem einen oder anderen in meinem Geschäft begegne, würde ich mich freuen.»