Im zweiten Stock eines kleinen Einkaufszentrums begrüsst Anhelina potenzielle Käufer so herzlich, als ob sie schon lange Freunde wären. Die 26-Jährige arbeitet schon seit drei Jahren in dem kleinen Souvenir-Laden im Zentrum von Minsk.
Zwei junge Frauen aus Deutschland, die gerade Postkarten gekauft haben, schauen verlegen auf die heitere Verkäuferin. Doch Anhelina lässt sich nicht irritieren und reicht beiden zwei Bände mit weissrussischen Ornamenten als Geschenk.
«Ich rede gerne mit Menschen», sagt Anhelina. Lächelnd fährt sie fort: «Ich versuche jedem etwas mitzugeben. Nicht nur Waren, sondern auch ein gutes Gefühl und positive Energie.»
Weissrussland als Verkaufsargument
Obwohl fast jede und jeder in Weissrussland Russisch spricht, sprechen die Verkäuferinnen in dem kleinen Souvenir-Laden nur auf Weissrussisch. Eine Strategie des Ladenbesitzers, um mehr Touristen in den Shop zu locken.
Viele lassen sich davon tatsächlich beeindrucken, lacht Anhelina. «Zwei Touristen aus Russland haben mal direkt neben mir so geflüstert auf Russisch, als ob sie wirklich nicht wüssten, dass ich sie verstehe.»
Doch nicht nur die weissrussische Sprache zieht die Besucher in den Laden. Überall ist die alte weissrussische Kultur präsent, vermittelt über traditionelle Ornamente auf T-Shirts, auf Tassen, auf Postkarten und sogar auf Thermoskannen.
Kitsch oder Kunst? Von beidem etwas
Früher zierten die Ornamente in Weissrussland traditionelle Kleidung aber auch Türen oder Gebäude, erläutert Anhelina. Das Thema ist eines ihrer Spezialgebiete. Ihre Masterarbeit war den Ornamenten in der weissrussischen Malerei gewidmet.
Eigentlich wollte sie Geschichte der Weltkulturen an einer Schule unterrichten. Aber kurz vor ihrem Studienabschluss in Kulturgeschichte hatte das weissrussische Bildungsministerium dieses Schulfach einfach abgeschafft. Anhelina und ihre Studienkollegen mussten sich andere Jobs suchen.
Nun nutzt Anhelina ihre Kenntnisse in Kulturgeschichte, um Touristen in die Geheimnisse der Ornamente auf ihren Armbändern oder Gürteln einzuweihen. Mit Erfolg.
Waren mit den traditionellen Verzierungen sind die Verkaufsschlager in dem Souvenir-Laden. «Wissen Sie, Max Mara verkauft Kleidung mit Ornamenten für 200 Euro», sagt Anhelina. «Wenn Touristen hier ähnliche Kleider für 70 Euro sehen, reizt sie das natürlich.»
Wer kommt (schon) nach Weissrussland?
Das nicht nur die Ornamente, sondern auch Weissrussland Anklang findet bei Touristen, zeigt Anhelina stolz auf einer Weltkarte neben dem Fenster. Auf jedem Kontinent stecken kleine Nadeln.
Hier haben Touristen, die in den Laden kamen, ihre Heimatorte markiert. Polen, Ukraine, Deutschland, die USA. «Die meisten Ausländer kommen nach Weissrussland, weil sie hier Freunde und Bekannte haben», erläutert Anhelina. «Zufällig kommt fast niemand hierher.»
Viele der Touristen kommen mit Stereotypen im Kopf, wie ein kommunistisches Land wie Weissrussland sein müsste. Und sind sehr überrascht, dass es nicht so ist.
Als selbst ernannte Botschafterin für weissrussische Kultur will Anhelina ihren Kundinnen mehr mitgeben als bedruckte Tassen. «Ich erzähle vielen, wie mein Land wirklich ist», freut sich Anhelina. «Deswegen mag ich meine Arbeit als Souvenir-Verkäuferin.»