Die Dauerbeschallung unserer 24-Stunden-Gesellschaft ist nicht nur lästig, sondern auch gesundheitsschädlich. Andererseits wünschen sich vor allem Stadtbewohner lebendige Quartiere. Ein Dilemma.
Die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat erforscht, was gegen den Lärm getan werden könnte – und das ist so einiges. Das zeigt ein neues Buch zum Thema, das von der Architektin Deborah Fehlmann mitherausgegeben wurde.
Gesetze aus grauer Vorzeit
Die heutige Schweizer Lärmschutzverordnung stammt aus den 1980ern. Damals wurde noch auf der grünen Wiese gebaut, ausserhalb der Städte. Noch niemand sprach von Verdichtung.
Entsprechend «unzeitgemäss» findet Fehlmann die Verordnung. Die Architektin war Leiterin des ZHAW-Forschungsprojekt «Intergrativer Lebensraum trotz Lärm».
In den 1980ern sei das Verständnis von Strassen im städtischen Raum noch ein anderes gewesen, erklärt sie. Die Strasse war in erster Linie für den motorisierten Verkehr gedacht. Fussgängerinnen und Velofahrer hatten dort wenig zu suchen oder spielten eine untergeordnete Rolle.
Inzwischen hat sich das Verständnis der Strasse gewandelt. Sie ist Teil des städtischen Raums, in dem sich das Leben abspielen soll.
Dieses Verständnis steht jedoch in direktem Widerspruch zu den Lärmschutzvorschriften. Diese besagen nämlich, dass dort, wo Lärm herrscht, grundsätzlich niemand wohnen sollte – was der Realität nicht unbedingt entspricht.
Bewohner-Bedürfnisse ignoriert
Um in dicht besiedelten Stadtgebieten trotzdem bauen zu können, greifen Architektinnen und Architekten oft auf eine alte Strategie zurück: Sie bauen ausschliesslich Treppenhäuser, Badezimmer und Küchen zur Strassenseite hin.
So können die Lärmgrenzwerte an den Fenstern von Wohnräumen eingehalten werden. Diese Vorgehensweise ist jedoch nicht unbedingt im Sinne der Bewohner. Denn die eigentlichen Wohnräume befinden sich auf der lärmabgewandten Seite, zu den Innenhöfen. Dort kann es wiederum lauter werden, etwa, wenn gleichzeitig Kinder spielen und auf den Balkonen grilliert und gefeiert wird.
Der Architektur nicht ausgeliefert
Nahezu fensterlose Fassaden bringen laut Fehlmann eine Reihe von weiteren Problemen mit sich. Sie seien nicht nur abweisend und unwirtlich. Sie liessen die Strassenräume akustisch verarmen. Denn je glatter und geschlossener die Fassaden sind, desto monotoner die Akustik zwischen ihnen.
Deswegen sei es sinnvoll, Fassaden möglichst abwechslungsreich zu gestalten, mit verschiedenen Materialien und vielfältigen Formen, die den Schall schlucken und brechen. Auch die Grundrisse von Wohnhäusern könnten neu gedacht werden, indem etwa alle Zimmer gleich gross und auf beide Seiten verteilt sind, erklärt die Architektin.
So könnten die Bewohner selbst entscheiden, wo sie schlafen oder arbeiten möchten. Damit könnten sie sich den Lärm ein Stück weit selbst einteilen, statt sich mit den Gegebenheiten abzufinden.
Denkanstösse für den Quartierbau
Die Ideen im Buch sind keine Garantie für eine Baubewilligung. Aber sie liefern wichtige Denkanstösse und Anregungen fürs Bauen in verdichteten Siedlungsräumen.
Oberste Priorität hat zwar immer noch, den Lärm an der Quelle zu bekämpfen. Da das jedoch nicht überall möglich ist, lohnt sich die Suche nach innovativen Lösungsansätzen.