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Die 9-Millionen-Schweiz: Wie verändert sich unser Land?
Aus Club vom 07.02.2023.
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9-Millionen-Schweiz «Es passen gut auch 16 Millionen Menschen in die Schweiz»

Wohnungsnot, steigende Mieten, Verkehrskollaps: Raumentwicklungs-Forscherin Sibylle Wälty propagiert als Antwort gegen steigende Zuwanderung und Zersiedelung die «10-Minuten-Nachbarschaft». In urbanen Zentren hätten noch viel mehr Menschen Platz.

Geht es nach Sibylle Wälty, könnten in der Schweiz locker 16 Millionen Menschen wohnen – und dies bei gleichbleibender Lebensqualität. «Laut unserem Modell wäre dies innerhalb des heutigen Siedlungsgebiets möglich», so die Raumentwicklungs-Forscherin der ETH Zürich.

Ihr Konzept: Netzwerke sogenannter 10-Minuten-Nachbarschaften. An Zentrumslagen sollen mehr Menschen leben – was gleichzeitig Verkehrsprobleme reduzieren und die Zersiedelung eindämmen würde.

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Sibylle Wälty: «Wir haben das Wohnen in die Peripherie gedrängt»
Aus Club vom 07.02.2023.
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Dichte urbane Hotpots

«In 10 Minuten zu Fuss muss alles erreichbar sein, was man im Alltag braucht: Bäckerei, Supermarkt, Coiffeur, Bahnhof, Café, Restaurants, Park und Kindergarten», so Wälty. «Und im Idealfall auch die Arbeit.»

Schon heute gebe es solche 10-Minuten-Nachbarschaften: Etwa das Quartier um den Ida-Platz in Zürich oder die Rue Dancet in Genf. «Die Rue Dancet ist die wohndichteste 10-Minuten-Nachbarschaft der Schweiz mit 21’000 Einwohnenden und 10’000 Vollbeschäftigten.»

Sibylle Wälty hat ermittelt, dass es für eine funktionierende 10-Minuten-Nachbarschaft mindestens 10'000 Einwohnerinnen und Einwohner in einem Radius von 500 Metern braucht und mindestens 5000 Arbeitsplätze. Denn mit genug Menschen auf kleinem Raum entstehe eine Stadt in der Stadt, und das sei attraktiv. «Je mehr Leute dort wohnen, desto mehr entsteht ein vielfältiges und von zureisenden Konsumentinnen und Konsumenten unabhängiges Angebot.»

Hochhäuser an Verkehrsknoten

Um solche Nachbarschaften zu schaffen, müsste konsequent verdichtet werden. Das bedeute nicht zwingend Hochhäuser, sagt Sibylle Wälty. «Sieben bis acht Stockwerke können schon vieles verbessern.» Sie nennt etwa das Berner Breitenrain- oder das Basler Matthäus-Quartier, die ebenfalls schon funktionierende 10-Minuten-Nachbarschaften seien. In Paris oder Barcelona allerdings lebten nochmals vier bis fünf Mal mehr Leute auf derselben Fläche.

«Sieben bis acht Stockwerke können schon vieles verbessern.»
Autor: Sibylle Wälty Raumentwicklungs-Forscherin, ETH

Besonders, wo der Boden beschränkt ist, kommen Hochhäuser ins Spiel. Sie sind laut Wälty aber nur da sinnvoll, wo schon eine sehr gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr besteht. «Wenn man auf dem Land draussen ein Hochhaus hinstellt, zieht man damit zwar viele Personen an, die dann aber aufs Auto oder den ÖV angewiesen sind. So entstehen nicht nur Kosten für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, sondern auch zusätzlicher Stau und vollgestopfte Züge.»

Mehr Fussverkehr als Königsweg

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Für die Stadt der Zukunft setzen viele Verkehrsforschende auf Fussverkehr. Denn dieser ist gut für die Gesundheit und braucht wenig Raum – viele Parkplätze fallen weg. «Wir sind alle faul: Sobald wir länger als 10 Minuten Fussweg vor uns haben, überlegen wir uns automatisch, Velo, Bus oder Auto zu nehmen», sagt Wälty. In einer 10-Minuten-Nachbarschaft falle dieser Gedanke weg, das Mobilitätsverhalten verändere sich automatisch, ohne Verbote. «Eine verdichtete Bauweise braucht keine neuen Strassen», argumentiert die Forscherin.

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Sibylle Wälty erklärt die 10-Minuten-Nachbarschaft
Aus Club vom 07.02.2023.
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Wohnungen bauen, wo gearbeitet wird

Zentral sei in der Raumplanung, dass Städte nicht nur Arbeitsplätze schafften, sondern daran gekoppelt auch den entsprechenden Wohnraum. «Wir brauchen dort mehr Einwohnende, wo es heute schon viele Arbeitsplätze und Freizeitangebote gibt.»

Sibylle Wälty nennt ein Beispiel: «Wenn Google in Zürich 1000 Arbeitsplätze schafft, entstehen dadurch weitere 5000 Arbeitsplätze, denn die neuen Mitarbeitenden brauchen Dienstleistungen wie Reinigung, Gesundheitsversorgung, Gastronomie oder Detailhandel.»

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Kommt dieses Jahr die 9-Millionen-Schweiz?
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Für all diese Leute müsste in der Nähe auch Wohnraum gebaut werden, um zusätzlichen Verkehr zu vermeiden. Dann könne die Verdichtung gelingen – «ressourcenschonend und mit gleicher oder sogar besserer Lebensqualität.» Theoretisch könnte die Schweiz so bis zu 16 Millionen Menschen ein Zuhause bieten.

Sibylle Wälty

Raumentwicklungs-Forscherin

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Sibylle Wälty (45) forscht seit 2016 als Raumentwicklungs-Wissenschaftlerin am ETH Wohnforum und doziert an der ETH Zürich zu urbanen Transformationen und 10-​Minuten-Nachbarschaften.

SRF Club, 07.02.2023, 22:25 Uhr

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