Bunte Menschenmassen tanzen durch Zürich. Mittendrin, mit regenbogenfarbenem Foulard feiernd: Mentari Baumann. Noch bis im Juli war sie Präsidentin der Zurich Pride, dem alljährlichen Festival der LGBTQI-Community.
Wenige Tage später findet ein römisch-katholischer Gottesdienst in der Stadt Bern statt. Die Stimmung ist feierlich. Am Altar wandelt der Priester Wein und Brot in den Leib und das Blut Christi.
Mentari Baumann fühlt sich in beiden Welten zu Hause. «Lesbisch, gläubig und aktivistisch: Das ist für mich kein Widerspruch», erklärt die 28-jährige.
Auf Distanz zur Kirche
Dem war nicht immer so. Es gab eine Zeit, als Mentari Baumann grosse Mühe mit der römisch-katholischen Kirche hatte. «Ich musste innerlich Distanz schaffen», sagt sie. Es klingt, als hätte sie sich zwingen müssen.
Mentari Baumann war noch ein Teenager, als sie realisierte, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlte. «Homosexualität kannte ich damals nur aus Serien im Fernsehen», erinnert sie sich.
Wenn die mich nicht wollen, dann will ich sie auch nicht.
Vorbilder im echten Leben hatte sie keine. Also informierte sie sich im Internet. Schnell fand Baumann heraus, dass das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zur Homosexualität konfliktbeladen ist. Sie las von konservativen Katholikinnen und Katholiken, die Homosexualität verurteilten. Und beschloss: «Wenn die mich nicht wollen, dann will ich sie auch nicht.»
Familie steht hinter ihr
Diese Distanzierung fiel ihr nicht leicht. «Ich habe ein Stück Heimat verloren», sagt sie rückblickend. Sie erzählt offen von ihrer Vergangenheit. Dabei verschweigt sie nicht, dass ihre indonesischen Verwandten, unter denen sich auch Hindus und Musliminnen befinden, lange keine Kenntnis von ihrer Homosexualität hatten.
Anfangs habe ihre Mutter nicht recht gewusst, wie sie mit der sexuellen Identität ihrer Tochter umgehen sollte. Ihre Familie habe sie in der Zeit ihres Coming-outs unterstützt, erinnert sich Baumann. Sie sei aber mit der Situation, wie auch Baumann selbst, zuerst etwas überfordert gewesen.
Manchmal sei es zwar anstrengend, sich in verschiedenen Welten zu bewegen, sagt sie. Doch meist sei es sehr bereichernd. «Es gab Tage, da half ich morgens am Schützenfest und schlüpfte dann in eine Tracht für ein indonesisches Fest am Nachmittag», erinnert sich Baumann. «Das hat mich gezwungen, mich schon früh mit mir selbst zu beschäftigen, um herauszufinden, wer ich bin und was ich im Leben will.»
Jugendtreff brachte die Wende
Tatsächlich wirkt die junge Frau in vielen Aussagen reflektiert – und stets überaus positiv. So auch, wenn sie erzählt, wie sie zur römisch-katholischen Kirche zurückgefunden hat.
«Ich habe an einem Jugendtreff in Taizé Menschen getroffen, die eine offene Kirche lebten. Die haben mir gezeigt, dass man über die Bibel noch diskutieren kann.» In Kirchen, die queere Menschen willkommen heissen, hat Baumann eine neue Heimat gefunden.
Um für diese offene Kirche zu kämpfen, engagiert sie sich bei «Allianz Gleichwürdig Katholisch» als Geschäftsführerin. «Wir müssen das Machtgefälle in der römisch-katholischen Kirche aufbrechen», sagt Baumann. Sie fordert: weniger Macht den Priestern, mehr Gestaltungsmöglichkeiten für Frauen und queere Menschen. Und eine Sexualmoral, die mehr Diversität zulässt.
Ein vergebener Kampf?
Solche Forderungen bringen ihre Gegner in Rage. Konservative Katholikinnen und Katholiken wie der Churer Priesterkreis berufen sich auf den Katechismus der römisch-katholischen Kirche, dem Regelbuch des römisch-katholischen Glaubens.
Die Ehe etwa sei Mann und Frau vorbehalten. Zudem halten sie es für inakzeptabel, Homosexualität anzuerkennen und Coming-outs zu unterstützen. Letzteres fordert auch ein neuer Verhaltenskodex im Bistum Chur.
Diese Konservativen mögen in der Schweiz nicht dominant sein, doch sie sitzen am längeren Hebel. Denn Veränderungen müssen in der römisch-katholischen Kirche vom Papst ausgehen. Dass sich dieser in Sachen Sexualmoral und Gleichberechtigung bewegt, ist kaum absehbar.
Zwischen Frust und Trotz
So bemühen sich Katholiken und insbesondere Katholikinnen seit Jahrzehnten, die römisch-katholische Kirche zu verändern: etwa mit der Forderung nach dem Priestertum für Frauen oder der Abschaffung des Zölibats. Bislang jedoch ohne Erfolg.
Für Baumann ist das frustrierend. Doch sie ist nicht bereit, den Konservativen ihre Kirche zu überlassen. «Ich bleibe auch aus Trotz in der römisch-katholischen Kirche», sagt sie. «Ich will, dass die Kirche für Menschen wie mich ein sicherer Ort wird.»