Eine Szene wie in einem Actionfilm: Damien H. hört morgens um fünf Uhr ein Poltern in seinem Haus. Plötzlich steht da ein fremder Mann. «Mein Adrenalin kickte voll rein», erzählt der 34-Jährige aus dem Kanton Aargau, «mein Puls wechselte von Schlaf- auf Notsituation».
Ohne zu überlegen, verpasst Damien H. dem Mann eine Faust. Der Einbrecher schlägt zurück und stürmt die Treppe hinunter. Dabei verliert er das Diebesgut.
«Es sah aus wie in einem Comic, er hat eine regelrechte Spur hinterlassen.» Nach einem weiteren Gerangel vor der Haustüre verschwinden der Dieb und sein Komplize in die Nacht.
Was bleibt emotional nach einem Einbruch zurück?
Etwa eine Stunde nachdem die Einbrecher das Haus fluchtartig verlassen haben, kommen sie zurück. Sie wollen Handy, Messer und Schlüssel holen, die sie in der Hitze des Gefechts zurückgelassen haben. Doch in diesem Moment schlägt die Polizei zu und verhaftet die beiden.
Die ersten zwei Wochen nach dem Einbruch hat es sich nicht wie mein Zuhause angefühlt.
Damien H. erzählt diese filmreife Geschichte rund einen Monat nach dem Ereignis mit viel Verve. Trotzdem ging das Erlebnis emotional nicht spurlos an ihm vorbei.
«Die ersten zwei Wochen nach dem Einbruch hat es sich nicht wie mein Zuhause angefühlt», sagt er. «Ich war immer angespannt, wenn ich die Haustüre geöffnet habe.» Besonders belastet habe ihn, dass – sobald er ähnlich aussehende Männer wie die Einbrecher sah – sein Körper auf Alarm schaltete und er sofort kampfbereit war.
Wut und Ekel bei den Einbruchsopfern
Ein unangenehmes Gefühl, aber eine normale Reaktion auf ein solches Erlebnis, weiss die Psychotraumatologin Rahel Bachem. Die anerkannte Psychotherapeutin forscht am Psychologischen Institut der Universität Zürich. Sie ist Initiantin des Ratgebers «Ist es noch mein zu Hause?».
Ihr Ratgeber beinhaltet über 40 Seiten Tipps dazu, wie man die Ängste nach einem solchen Vorfall kontinuierlich abbauen kann. Obwohl der Ratgeber vor über zehn Jahren veröffentlicht wurde, hat er gemäss Bachem seine Gültigkeit behalten.
Für den Ratgeber hat die Psychotraumatologin mit vielen Einbruchsopfern gesprochen. Immer wieder haben diese von ihrer Wut berichtet. «Wut gibt einem eine kurzfristige Kontrolle», erklärt Bachem. «Man ist weniger Opfer als wenn man beispielsweise traurig ist.» Diese Wut solle man zulassen, sie habe ihre Berechtigung.
Ein anderes Gefühl, von dem die Einbruchsopfer oft gesprochen haben, ist Ekel: «Der Ekel taucht vor allem dann auf, wenn durch persönliche Gegenstände gewühlt wurde, Unterwäsche etwa.» Danach könne es manchmal zu regelrechten Putz- und Waschattacken kommen, erzählt die Psychologin weiter.
«Wie Wut ist auch das in Ordnung, bis zu dem Punkt, wo es die Lebensqualität einschränkt.» Dann empfiehlt Rahel Bachem, sich professionelle Hilfe zu holen, eine erste Anlaufstelle könnte der Hausarzt sein.
Frauen leiden stärker als Männer
Studien zu Einbruchsopfern sind rar. Die aktuellsten Zahlen aus der Schweiz sind über zehn Jahre alt und stammen aus der Basler Einbruchsstudie, die mit Unterstützung einer grossen Schweizer Versicherung entstanden ist.
Der Einbruch hat mich in meiner Lebensqualität massiv beschnitten.
Sie zeigt: Fast ein Drittel aller Einbruchsopfer belastet ein Einbruch nicht stark – Männer und Frauen gleichermassen. Je stärker aber der Belastungsgrad, desto höher der Frauenanteil: Während ein Einbruch mehr als 15 Prozent der Frauen stark belastet, sind es bei Männern keine fünf Prozent.
Die Studie zeigt zudem, dass Opfer eines Einbruchs durchschnittlich bis zu einem Jahr nach dem Ereignis über ein vermindertes generelles Sicherheitsbedürfnis verfügen.
«Ich hatte Angst, dass der Einbrecher zurückkommt»
Es kann sehr viel länger gehen. Das weiss Dominique S. aus Erfahrung. Die 39-Jährige aus dem Kanton St. Gallen ist gerade schwanger mit ihrem zweiten Kind. Sie sagt: «Der Einbruch hat mich in meiner Lebensqualität massiv beschnitten.»
Vor acht Jahren wurde bei ihr eingebrochen. Auch sie hat den Täter auf frischer Tat ertappt. Als dieser sie bemerkte, rannte er an ihr vorbei und entschuldigte sich. Mitgenommen hat er nichts Wertvolles: ein paar US-Dollar, Vitamin-B-12-Tabletten und St. Galler Stadtgutscheine.
Der Schock aber sass tief und wandelte sich nach der Spurensicherung der Polizei in Angst: «Alleine zu Hause zu sein, war schwierig. Und im Dunkeln unterwegs zu sein, ebenfalls. Mein Partner musste mich immer an der Bushaltestelle abholen.» Auch Menschenmassen vermied sie fortan. «Ich hatte Angst, dass er zurückkommt und mir etwas antut, weil ich ihn hätte identifizieren können.»
Sich Zeit zu geben, ist wichtig.
Dieser Zustand hielt einige Jahre an. Wie lange, das kann Dominique S. heute nicht mehr sagen. Aber sie findet: «Ich hätte früher reagieren müssen». Erst spät machte sie ein Kurzzeit-Coaching, in dem sie sich gedanklich wieder zurück in die Situation versetzen liess. Auch in der Realität hat sie sich immer öfter ihren Ängsten gestellt.
«Die Zeit heilt alle Wunden», sagt Dominique S. und lächelt. «Das sagt man ja so schön, aber das stimmt bei mir tatsächlich.» Zwar fühlt sich Dominique S. auch heute noch unwohl alleine im Dunkeln, aber sie kann wieder alleine nach Hause laufen.
Sich den Gefühlen klar werden
«Sich Zeit zu geben, ist wichtig», sagt auch Rahel Bachem und rät, sich erst einmal seinen Gefühlen klar zu werden. Dabei helfen Fragen wie «Wie geht es mir jetzt nach dem Vorfall?» oder «Warum belastet mich der Einbruch so stark?».
Auf diese Erkenntnisse können die Einbruchsopfer in einem weiteren Schritt aufbauen. «Viele Opfer geben sich selbst die Schuld an dem Einbruch oder geraten in eine negative Gedankenspirale», erklärt die Psychotraumatologin. Deshalb rät sie, Denkfallen zu vermeiden.
Umdenken und Umstellen
Das gelingt, indem man negative Gedanken in positive umwandelt. Anstatt «Bei mir wird bestimmt bald wieder eingebrochen» könnte man sagen: «Das Risiko, dass es mich zweimal hintereinander trifft, ist sehr klein.» Oder: Anstatt «Dass ausgerechnet bei mir eingebrochen wurde, hat bestimmt persönliche Gründe» könnte man sagen: «Es war Zufall, dass es mich getroffen hat.»
Rahel Bachem weiss, dass auch kleine Veränderungen in der Wohnung helfen können: neue Vorhänge anbringen oder das alte Sofa ersetzen. Wenn die Angst vor einem erneuten Einbruch trotzdem bestehen bliebe, dann könne man sich bei der Kantonspolizei melden. Diese bietet nämlich – oft kostenlos – Sicherheitsberatungen an. Eine Expertin oder ein Experte deckt dabei die Schwachstellen im eigenen Zuhause auf.
Über die Gefühle sprechen
«Es ist wichtig, sich auch in schwierigen Zeiten nicht aus dem Leben zurückzuziehen», sagt die Psychotraumatologin, «sondern aktiv daran teilzunehmen und auch die Unterstützung von Mitmenschen anzunehmen».
Genau das hat Damien H. gemacht. Vier Wochen nach dem Einbruch, sagt der Sportlehrer, habe er den Vorfall bereits verarbeitet. «Es ging so schnell, weil ich mit sehr vielen Menschen darüber gesprochen und sehr viel darüber nachgedacht habe.» Was würde er anders machen? «Jetzt, da ich weiss, dass der Einbrecher ein Messer hatte, würde ich ihn nicht mehr angreifen. Ich würde mit Lärm auf mich aufmerksam machen.»