«Gottes falsche Anwälte – Der Verrat am Islam» heisst das neuste Buch des islamischen Reformtheologen Mouhanad Khorchide. Der Titel ist Programm. Khorchide beschreibt, wie aus einer Religion der Barmherzigkeit eine Religion der Unterdrückung geworden sei.
Mohammed, so Mouhanad Khorchide, wollte die Menschen ermächtigen, sie zu selbstbestimmten Individuen machen. Doch kurze Zeit nach Mohammeds Tod begannen seine Nachfolger, den Islam als Machtinstrument zu missbrauchen.
Sie benutzten den Islam, um ihre Herrschaft zu legitimieren. Aus einem barmherzigen Gott sei so ein Gott der Strafe geworden, lautet Mouhanad Khorchides These. Und diese, wie Khorchide sie nennt, «manipulierte» Version des Islams wirke bis heute nach.
Gerechtigkeit statt Strafen
Mouhanad Khorchide liest den Koran ganz anders: als Botschaft der Freiheit, Gerechtigkeit und sozialen Solidarität. In mehreren Kapiteln beschreibt er, dass es im Koran nicht um Gesetze gehe, sondern um ethische Prinzipien.
Khorchide plädiert für eine historisch-kritische Lesart des Islams. Er relativiert Aufrufe zu Gewalt und Körperstrafen und erklärt sie mit den Umständen, unter denen der Koran entstanden sei: dem Aufbau einer muslimischen Gemeinschaft, die sich von den Stammesgesetzen emanzipiert und eine gemeinsame gesetzliche Grundlage benötigt habe.
Dezidiert kritisiert Mouhanad Khorchide den politischen Islam, der die Massen manipuliere und mit seinem Opferdiskurs fehlleite.
Problematische Eindeutigkeit
Khorchide zieht in seinem Buch klare Grenzen, spricht vom richtigen und vom falschen Islam, bezeichnet Überlieferungen, die Mohammed als strafenden Anführer zeigen, als «erdichtet». Der Autor zeigt damit Haltung – doch diese Einteilung in richtig und falsch ist problematisch.
Denn es gibt im Koran beides, den strafenden und den barmherzigen Gott. Mehrere Deutungen zuzulassen, ist gerade die Stärke einer modernen islamischen Theologie. Im Gegensatz zu fundamentalistischen Strömungen, die nur ihre Interpretation akzeptieren.
Natürlich akzeptiere er verschiedene Deutungen des Islams, sagt Mouhanad Khorchide, doch Mehrdeutigkeit heisse nicht Beliebigkeit: «Wenn der Koran als Instrument der Unterdrückung eingesetzt wird, endet meine Toleranz.»
Ihm sei es wichtig, im Buch Haltung zu zeigen, die Leserinnen und Leser aufzurütteln und Alternativen aufzuzeigen.
Auf dem Weg zur islamischen Aufklärung?
Mouhanad Khorchide fordert die Musliminnen und Muslime auf, sich vom Islam der Unterdrückung zu emanzipieren und die spirituelle Seite der Religion zu entdecken.
Wer etwa bete, solle dies nicht tun, weil Gott ihn bestrafe, wenn er es unterlässt, sondern als spirituelle Übung. Andere Menschen gut zu behandeln, sei Gottesdienst.
Er sei sich bewusst, dass diese Umorientierung nicht einfach sei, sagt Mouhanad Khorchide. «Doch ich bin zuversichtlich, dass wir uns in einem dynamischen Prozess befinden und uns eine islamische Aufklärung bevorsteht.»