Tansy E. Hoskins hat seit fünf Jahren keinen Sneaker-Store mehr betreten. Trotzdem weiss sie wohl mehr über Turnschuhe als die meisten von uns.
Für ihr Buch «Foot Work» besuchte die Journalistin und Umweltaktivistin Schuhfabriken in China, Mazedonien und Bangladesch, prüfte Studien und hinterfragte politische Entscheide. Sie kommt zum Schluss: «Sneakers stellen eine der grössten Umweltkatastrophen unserer Zeit dar.»
SRF: Tansy, warum sind Sneakers der Super-GAU für unsere Umwelt?
Tansy E. Hoskins: Weil ein einziger Sneaker aus bis zu 30 Komponenten besteht. Dazu gehören Plastik, Gummi, Leder, Baumwolle oder Metall. Der Schaumstoff für die Sohlen etwa wird mit Hilfe von hochaggressiven Chemikalien in Form gebracht. Die geraten durch das Abwasser in die Umwelt, verätzen aber auch die Hände der Arbeiterinnen.
Dazu kommt, dass Sneakers nicht recycelt werden können, weil die einzelnen Bestandteile bombenfest verklebt werden. Viele Schuhe landen deshalb auf der Mülldeponie. Allein die Metallösen in den Sneakers brauchen über 1000 Jahre, um abgebaut zu werden.
Laut Ihrem Buch ist auch die Lederverarbeitung oft problematisch.
Ja. Bei der Gerbung wird Chrom eingesetzt, das krebserregende Stoffe enthält.
In Ländern wie Brasilien ist die Lederindustrie ausserdem Teil der Fleischindustrie – und damit Hauptverursacher der Abholzung des Regenwaldes. Es besteht also eine direkte Verbindung zwischen den Schuhen an unseren Füssen und dem Klimawandel.
Dass «Fast Fashion» der Umwelt schadet, dürfte den meisten klar sein. Warum ist das bei der Schuhindustrie anders?
Weil die Schuhindustrie noch keinen Rana-Plaza-Moment hatte. Als bei dem Fabrikeinsturz in Bangladesch über 1000 Näherinnen und Näher starben, war das wie eine explodierende Bombe im Herzen der Modeindustrie.
Das Ausmass der Zerstörung zwang die Konsumentinnen, die desolaten Arbeitsbedingungen endlich wahrzunehmen. Zur Schuhindustrie gibt es keine grossen öffentlichen Aufklärungskampagnen.
Auf den Marken lastet nicht der gleiche Druck, transparent zu sein. Deshalb sind sie es auch nicht.
Warum kommen die Brands damit durch?
Weil es quasi keine Gesetze gibt, die global greifen – obwohl das System globalisiert ist. Wenn auf einem Sneaker «Made in Italy» steht, heisst das nicht, dass er in Italien produziert wurde.
Ein Teil wurde vielleicht in China gefertigt, ein anderer in Mazedonien. Nur die letzten Schritte finden tatsächlich in Italien statt.
Lieferketten und Produktionsprozesse werden also nicht kontrolliert?
In einigen Ländern der EU haften Unternehmen für die Achtung der Menschenrechte in globalisierten Wertschöpfungsketten. Aber die Schuhbranche hinkt in Sachen Transparenz hinterher.
Das macht eine Verbesserung der Situation kaum möglich: Die Lieferketten sind undurchsichtig, komplex und viele Arbeiten werden von Sub- und Subsub-Unternehmen ausgeführt, die diese Gesetze nicht befolgen.
Wie reagiert die Politik?
Der Rechtsausschuss des Europaparlaments hat Anfang des Jahres einen Initiativbericht angenommen, der strenge Sorgfaltspflichten für Unternehmen vorsieht. Ausserdem wurde von der EU-Kommission eine Abstimmung zu «Sustainable Corporate Governance» eröffnet, die umweltfreundlichere Wertschöpfungsketten sichern soll.
Darauf reagieren die Unternehmen, als hätten sie alles im Griff und lancieren Nachhaltigkeitskampagnen und Schuhe aus recycelten Materialien.
Sind recycelte Sneakers klassisches Greenwashing?
In der Regel ja. Wenn man sich das Kleingedruckte anschaut, sind oft gerade mal 20 Prozent der Materialien recycelt.
Wenn Nike oder Adidas die Möglichkeit haben, Sneakers herzustellen, die für die Umwelt weniger schädlich sind, warum produzieren sie weiterhin Schuhe, die Arbeiterinnen und Umwelt schaden? Ich vermute: Weil es ihnen egal ist.
Wo müsste man in diesem komplexen System zuerst ansetzen?
Die Industrie muss demokratisiert werden. Im Moment liegt die finanzielle und politische Macht an der Spitze der Unternehmen.
Am unteren Ende sitzen Millionen von Menschen, die ausgebeutet werden. Wir brauchen Gewerkschaften. Ausserdem sollten wir damit aufhören, uns von den Lifestyleversprechungen der Brands blenden zu lassen und anfangen, sie wie andere Umweltsünder zu behandeln.
Wie schaffen wir es, uns als Konsumentinnen ernsthaft damit auseinanderzusetzen?
Das Problem ist: Der Kapitalismus und die Globalisierung haben uns vom Produktionsprozess getrennt. Konzerne wollen uns glauben machen, dass Sneakers einfach aus dem Nichts in unser Schuhregal wandern.
Wir müssen wieder lernen, die Geschichten dahinter zu sehen. Wir sollten uns fragen, was «Made in Cambodia» wirklich bedeutet. In welcher Fabrik? Von welcher Arbeiterin? So entsteht wieder eine Verbindung zu den Gegenständen und den Menschen dahinter.