Tunesien ist der Spitzenreiter: Über 30 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner des Maghrebstaates bezeichnen sich als überhaupt nicht religiös.
Für ein muslimisches Land ein hoher Wert. Zumal vor fünf Jahren erst 15 Prozent dieselbe Kategorie wählten.
Mit Religion nichts am Hut
Die Prozentzahlen mögen in anderen arabischen Ländern tiefer sein. Doch der Trend ist praktisch überall derselbe. Die Zahl der Menschen, die angeben, mit Religion nichts am Hut zu haben, nimmt zu.
Für die Studie der renommierten Universität Princeton im Auftrag der BBC wurden über 25'000 Menschen aus elf arabischen Staaten befragt – von Ägypten über die Palästinensergebiete bis zu den Maghrebstaaten.
Die Golfstaaten und Saudi Arabien fehlen in der Studie, weil die Regierung den Zugang für die Interviews nicht ohne Einschränkungen gewähren wollten.
Neue Zugänge im Internet
Im Schnitt gaben 13 Prozent an, gar nicht religiös zu sein. Bei Jugendlichen waren es 18 Prozent. Tendenz steigend. Warum?
Erstens wegen des Internets und der sozialen Medien. Gerade junge Menschen haben die Möglichkeit, sich im Netz einen neuen Zugang zur Religion zu suchen.
«Konsumorientierte Erlebnisreligiosität», nennt das der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze der Universität Bern. Kommt hinzu, dass religiöse Autoritäten an Einfluss verlieren, weil die alten Männer den jungen Menschen wenig zu sagen haben.
Vom politischen Islam abgeschreckt
Der zweite Grund ist der politische Islam. Er war in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren derart omnipräsent, dass er die Alltagsfrömmigkeit förmlich überwalzte.
Sprich: Auch Musliminnen und Muslime in den arabischen Ländern fühlen sich vom politischen Islam abgestossen – und distanzieren sich dadurch auch vom Islam im Alltag.
Das zeigt sich in einem weiteren Ergebnis der Studie: Islamistische Parteien wie die Ennada in Tunesien, die Hamas im Gaza-Streifen und die Hizbollah im Libanon verlieren an Unterstützung.
Ausnahme Jemen
Die Religion verliert also in der arabischen Welt an Bedeutung, wenn auch auf einem anderen Niveau als in Europa. Eine Ausnahme bestätigt die Regel: Jemen.
Im Bürgerkriegsland sind staatliche und gesellschaftliche Strukturen zusammengebrochen. Die Religion gibt Halt, ist Auffangnetz für Arme, Kranke, Schwache. Die Religiosität in Jemen hat deshalb zugenommen – als einziges der elf Länder in der Studie.