«Appropriiere! Aber tue es richtig!» Das ist das Motto von Jens Balzers Essay «Ethik der Appropriation», das diesen Donnerstag erscheint. Darin bringt der Berliner Kulturjournalist einen ethischen Ansatz ins Spiel. «Wie wäre es, anstatt Verbote auszusprechen, zu fragen, was wir durch Aneignung gewonnen haben? Wir können ohnehin nicht anders als aneignen. Das ist der Kern jeder Kultur, also machen wir es doch richtig!», sagt er im Interview.
Doch was ist sie, diese gute, ethisch richtige Aneignung? Jens Balzer plädiert in seinem Buch für eine bewusste Haltung. Er schreibt: «Gutes, reflektiertes, kritisches Appropriieren denkt immer die Machtverhältnisse mit, in denen wir leben, und stellt sie infrage. Es wendet sich also gegen ideologische Verfestigungen jeder Art.»
Beispiele von Elvis, Clapton und Eminem
Auf knappen hundert Seiten geht der Autor den Verästelungen der Diskurse nach. Nicht polemisch, sondern systematisch: «Ich wollte, dass wir aus der Empörungsspirale herauskommen», sagt er. Er schaut auf die Potenziale von kultureller Aneignung, ohne deren Probleme auszublenden.
Balzer blickt auf die Machtverhältnisse, die sich zum Beispiel im Erfolg von Elvis, Eric Clapton oder Eminem offenbaren: Sie wurden zu Ikonen des eigentlich schwarzen Rock’n’Rolls, des eigentlich schwarzen Blues und des eigentlich schwarzen Hip-Hops.
Unsere Sehnsucht nach dem Authentischen
Einen neuen Dreh in die Debatte bringt Jens Balzer, indem er die Sehnsucht nach Authentizität entlarvt – eine problematische Motivation für kulturelle Aneignung. Im Interview sagt er: «Weisse Musiker haben sich Anfang des 20. Jahrhunderts den Jazz der Afroamerikaner angeeignet, weil sie ihn für besonders wild hielten. Die Hippies haben sich Indianerkostüme übergeworfen, weil sie in die Indianer eine Naturverbundenheit hineinprojiziert haben. Man wollte also eine Ursprünglichkeit konsumieren, die man in der eigenen technisierten Gesellschaft verloren zu haben glaubte.»
Solche Vereinfachungen beobachtet Jens Balzer aber nicht nur in der kulturellen Aneignung selbst, sondern auch in ihrer Kritik. Zum Beispiel in der jüngsten Debatte: Sie wurde entfacht wegen des Abbruchs eines Konzertes der Reggae-Band «Lauwarm» in einer Berner Quartierbeiz.
«Reggae hat nichts mit indigenen Kulturen oder Ursprünglichkeit zu tun, sondern ist eine postmoderne Verbindung unterschiedlichster musikalischer Traditionen aus Afrika, den USA, aus dem karibischen Raum in den 1950er- und 1960er-Jahren», sagt Balzer dazu.
Konstruktiven Austausch fördern
Als die Debatte Ende Juli nach Deutschland schwappte, war das Buch schon im Druck. Trotzdem kommt es genau zur richtigen Zeit. Denn es differenziert die Debatten, die dem Berner Konzert oder dem jüngsten Zürcher Vorfall zu Grunde liegen. Es lädt ein, darüber nachzudenken, wie man es besser machen könnte.
«Anstatt mit einem aktivistischen Furor ein Konzert abzubrechen, könnte man es zu Ende spielen und im Anschluss dann diskutieren.» Und das ist es auch, was sich Jens Balzer für die Zukunft wünscht: «Wir sollten lernen Diskurse zu führen ohne letzte Wahrheiten. Und was immer gilt: Erst denken, dann twittern.»