Die Schweizer Band «Lauwarm» ist derzeit in eine hitzige Debatte verstrickt: Ist es zulässig, dass sich fünf weisse Männer dem jamaikanischen Reggae verschreiben, teils mit Rastalocken und afrikanischer Kleidung? Oder handelt es sich hierbei um eine Grenzüberschreitung? Eine sogenannte kulturelle Aneignung?
Mit solchen Fragen sah sich jüngst die Berner Brasserie Lorraine konfrontiert: Sie hatte «Lauwarm» gebucht und brach das Konzert nach kritischen Rückmeldungen aus dem Publikum ab.
Der Fall schlägt medial Wellen über die Landesgrenzen hinaus – auch Frontmann Dominik Plumettaz ist mit Reaktionen überhäuft worden. Jetzt, mit etwas Abstand, sagt er: «Wir stehen zu dem, was wir machen.» Aber am Konzert selbst sei der Vorwurf der kulturellen Aneignung «wie ein Dolch ins Herz» gewesen.
Dass einige Mitglieder von «Lauwarm» afrikanische Kleider tragen würden, komme nicht von ungefähr: «Sie spielen in Afrobands, sind eng mit diesen Kulturen verbunden», sagt Plumettaz. Ebenso widme man sich dem Reggae, weil man dessen Werte teile. Und daran wolle man festhalten, so Plumettaz. «Wenn man in einer anderen Kultur etwas Inspirierendes findet und es in die eigene Kreativität einbaut, ist dies doch etwas sehr Verbindendes.»
Gefahr der Kulturpolizei droht
Musiker Marc Sway, Sohn einer brasilianischen Perkussionistin und eines Schweizer Rocksängers, hat den Berner Vorfall mitverfolgt. Solche Wertungen nähmen der Musik die Magie – und seien gefährlich: «Man könnte ja jetzt sagen, das Glück meiner DNA legitimiert mich musikalisch zu machen, was ich mache – und alle anderen nicht.» Mit dieser Haltung lande man am Ende bei einer Kulturpolizei.
Solange Kunst nicht verletzend ist, sollte Kunst ihre Freiheit behalten.
«Selbst in Momenten, die geschichtlich schwierig waren, wo viel Leid passiert ist, glaube ich, hat Musik am Schluss mehr zusammengebracht als gespalten.» Für Sway ist daher klar: «Solange Kunst nicht verletzend ist, sollte Kunst ihre Freiheit behalten. Man sollte sie auf keinen Fall verkopfen.» Und er verweist auf das Beispiel Bob Marley: Gerade dass dieser den traditionellen Reggae mit populären Elementen vermischt habe, habe die Musik für eine breite Masse zugänglich gemacht.
Machtverhältnisse schwingen immer mit
Etwas anderer Meinung ist Henri-Michel Yéré. Der Sozialwissenschaftler forscht an der Universität Basel und ist an der Elfenbeinküste aufgewachsen. Zwar würde er es für verfehlt halten, Menschen mit weisser Hautfarbe nun einfach das Tragen von Rastalocken zu verbieten. «Denn es kann auch eine Geste von Solidarität sein.»
Auch müsse man sich fragen, inwiefern sich Reggae-Musiker wie «Lauwarm» als Teil einer Befreiungsbewegung sehen. Doch Yéré warnt davor, Kulturen als blosse Güter zu betrachten. «Es geht hier nicht nur um einen kulturellen Austausch.» Man müsse auch den jeweiligen Kontext, damit verbundene Machtverhältnisse kennen.
Es geht hier nicht nur bloss um einen kulturellen Austausch.
Im Falle der Rastalocken heisst das: Dreadlocks waren in der jamaikanischen Kultur ein Zeichen von Widerstand gegen Rassismus. Es reiche nicht, eine Kultur bloss zu zelebrieren, sagt Yéré. Man müsse deren Geschichte ernst nehmen.
Die Diskussion um kulturelle Aneignung flammte zuerst in den USA auf. Dass sie nun in die Schweiz überschwappe, erstaunt Yéré nicht. «In allen Gesellschaften, in denen es Minderheiten gibt, die sich unter Druck fühlen, kulturell, finanziell, sexuell, werden sich solche Fragen einmal stellen.»
Und dass die Debatte stattfindet, ist ganz im Sinne der attackierten Berner Band. Dominik Plumettaz sagt: «Uns ist es wichtig, dass wir diese Diskussion führen – neutral und auf Respekt basierend.»