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«Not Giving a Fuck» Wieso wir unser Sexleben ein wenig lockerer nehmen sollten

Beate Absalon hinterfragt in ihrem Buch «Not Giving a Fuck» die Rolle von Sex in unserer Gesellschaft: Muss Lust immer im Mittelpunkt stehen, oder darf man auch mal lustlos sein?

Der Untertitel von Beate Absalons Buch – «Von lustlosem Sex und sexloser Lust» – verrät, dass es ihr um die Bandbreite menschlichen Erlebens in Sachen Lust geht. Ihre Forschungen in Texten, in sozialen Medien, aber auch ihre Erfahrungen als Workshopleiterin liessen sie mehr und mehr an der weitverbreiteten Haltung zweifeln, dass der Sex das Wichtigste überhaupt sei.

Zwang statt Erfüllung?

Stattdessen fand sie an mehreren Stellen Hinweise, dass Sex für viele mit irgendeiner Art von Zwang verbunden ist. «Ich kann zwar nicht in die Schlafzimmer von Menschen hineinschauen, aber ich hab schon den Eindruck, dass viele sich sexuell vergleichen, immer denken, man müsste das noch optimieren, und eigentlich nicht in der Befriedigung oder im erotischen Wohlstand sind.»

Eine grosse Frage sei für sie auch, ob Sex immer «den Ton angeben» müsse. Beim Dating etwa scheine es nur um Sex, und nicht um ein echtes, vielfältiges Kennenlernen zu gehen. Wer andere Bedürfnisse habe oder sich womöglich gar als asexuell oute, sei raus aus dem Spiel und schnell auch abgewertet.

Absalon gibt zu bedenken, dass diese Einspurigkeit zum Tempo und zum Hochleistungsprinzip unserer Zeit passt – und Menschen wenig Gelegenheit lässt, sich umfassender und sorgsamer mit einer Beziehung und auch der eigenen Körperlichkeit zu beschäftigen.

Für mehr Fürsorge

Besser gelingt dies laut Absalon in der queeren Community, die sich deutlich abgrenzt von den Konventionen der sogenannten «Heteronormativität» und auf Achtsamkeit und Fürsorge grossen Wert legt.

Pride Walk Basel 2024
Legende: Pride Walk: Befreiung von den Zwängen des vermeintlich «normalen» Sex hat in der queeren Community schon stattgefunden – gelöst sei das Problem dennoch nicht, meint Beate Absalon. KEYSTONE/Georgios Kefalas

Das Problem sei aber nicht gelöst: «Es ist ja so, dass sich queere Identität vor allem über Sex definiert und er deshalb wieder schnell im Mittelpunkt steht» – wie ein Wolf im Schafspelz, sagt Absalon. So könnten sich Zwang und Unfreiheit auch in das bewusstere Miteinander der queeren Welt einschleichen.

Lust hat viele Gesichter

Wenn Absalon postuliert: «Alles KANN, nichts MUSS», weiss sie zugleich, dass es kein Rezept für die echte Freiheit in sexuellen Dingen gibt. Auch die sogenannte «Einvernehmlichkeit» findet ja innerhalb von Machtverhältnissen und Abhängigkeiten statt. An zahlreichen Beispielen und Geschichten illustriert sie, wie viele Gesichter die Lust haben kann – und dass es auch möglich sein muss, keinen Sex zu wollen.

«Wenn es um Befreiung von Sex geht, dann ist auch die Frage, was wird genau unterdrückt? Nicht nur das lustvolle Leben, sondern auch die Möglichkeit, mal lustlos sein zu dürfen.»

Jede Zeit reguliert Sex

Wichtig ist es ihr als Kulturwissenschaftlerin auch, zu betonen, dass Gesellschaften zu allen Zeiten ihre Weisen gefunden haben, Sexualität zu regulieren und einzuhegen – und verweist auf Zölibat und religiöse Keuschheitsgebote. Die heute stillschweigend geltende «Regel», dass man auch sexuell Leistung zu erbringen hat und an seinem sexuellen Profil gemessen wird, sei keineswegs allgemeingültig, sondern eben nur ein Zeichen unserer Zeit.

Buchhinweis

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Beate Absalon: «Not Giving a Fuck. Von lustlosem Sex & sexloser Lust: Gesellschaftlichen Zwang überwinden & lebendige Intimität finden». Kremayr & Scheriau, 2024.

Absalon geht es darum, den Begriff von Sex zu weiten – über die enge Definition einer normativen Kultur hinaus. Genauso wichtig ist es ihr aber, die enorme Macht des Sex selbst infrage zustellen, die ihm eine Art Sonderstatus über allen anderen Formen der vertrauten nahen Begegnung zuweist. Ein inspirierendes und konfrontierendes Buch, das alle etwas angeht.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 6.1.2025, 17:40 Uhr

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