Dieser Hashtag rettet (vorerst) Leben: Unter #NoToExecution protestierten auf Twitter Millionen Menschen gegen die Hinrichtung dreier junger Männer in Iran. Der Druck hat dazu geführt, dass Irans oberste Richter die Exekutionen ausgesetzt haben.
Können digitale Proteste also selbst autoritäre Regimes zum politischen Umdenken bewegen? Hashtags sind ein mächtiges Mittel, sagt SRF-Digitalredaktor Jürg Tschirren. Aber nicht immer nachhaltig.
SRF: Dass ein Hashtag eine solche Schlagkraft entwickelt und wirklich Leben rettet: Gibt es dafür noch andere Beispiele?
Jürg Tschirren: Mir ist kein Beispiel bekannt, bei dem auf so direkte Art drei Leben gerettet wurden, jedenfalls vorerst gerettet wurden. Aber man hat in den letzten Jahren oft gesehen, dass sich Millionen Menschen hinter bestimmte Hashtags stellen und so tatsächlich zu politischen oder gesellschaftlichen Veränderungen mit beitragen.
Der Arabische Frühling 2011 wäre ein Beispiel. Auch der Hashtag #MeToo, mit dem auf sexuelle Übergriffe hingewiesen wird. Oder aktuell der Hashtag #BlackLivesMatter, mit dem gegen Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA protestiert wird.
So positiv die Folgen sein mögen, dieser «Hashtag-Aktivismus» wird auch kritisch beäugt. Warum?
Es gibt den Vorwurf, solche Aktionen in den sozialen Medien dienten als Ausrede, nicht auch in der «richtigen» Welt aktiv sein zu müssen. Dass man es sich damit einfach macht: Im Internet schnell irgendwo einen Hashtag oder ein Like setzt und es damit als erledigt betrachtet.
Unter autoritären Regierungen ist Hashtag-Aktivismus oft die einzige Möglichkeit, sich einigermassen gefahrlos politisch zu engagieren.
Die Wissenschaft ist sich nicht einig, ob das stimmt. Es gibt Studien, die sehen tatsächlich keinen Zusammenhang zwischen Online-Aktivitäten und Aktivitäten im realen Leben. Andere sehen so einen Zusammenhang dagegen durchaus.
Was man nicht vergessen sollte: Für Menschen in Ländern mit autoritären Regierungen wie zum Beispiel im Iran ist solcher Hashtag-Aktivismus oft die einzige Möglichkeit, sich einigermassen gefahrlos politisch engagieren zu können.
Wie hat das iranische Regime in diesem Fall auf die Online-Proteste reagiert?
Es gab Versuche, diese Online-Proteste zu verhindern oder zumindest stark zu beeinträchtigen. Am Dienstag zum Beispiel war das Internet in Iran zeitweilig unterbrochen. Man kann davon ausgehen, dass das Regime für diesen Ausfall verantwortlich war.
Schon bei früheren Protesten in Iran wurde das Internet kurzfristig lahmgelegt. Man kennt solche Störaktionen auch von anderen Ländern, wo soziale Medien unterbunden werden. China zum Beispiel – oder aktuell auch die Türkei. Da hat Erdoğan angekündigt, Twitter künftig noch restriktiver zu behandeln.
Hat im Iran nun das Regime angesichts des Widerstands im Netz klein beigegeben?
Die Hinrichtungen wurden bloss ausgesetzt, muss man sagen. Klein beigeben ist das nicht. Es kommt jetzt zu einer Revision des Urteils. Und das heisst natürlich nicht, dass die neuen Urteile, die gefällt werden, nicht auch wieder auf Todesstrafe für die drei jungen Männer lauten werden.
Mit einem Hashtag Solidarität zu bekunden, ist oft ebenso flüchtig wie diese Solidarität selbst.
Der Erfolg dieser Aktion ist also bloss vorläufig. Typisch für digitale Proteste?
Das ist so. Mit einem Hashtag oder einem Like Solidarität zu bekunden, ist oft ebenso flüchtig wie diese Solidarität selbst. Was hinter einem einfachen Hashtag steckt, ist ja oft viel komplexer als nur ein paar Worte.
Oft beschäftigen sich User tatsächlich nicht wirklich weiter mit den Problemen. Man gibt sich stattdessen mit einem Klick, mit einem Tweet zufrieden.
Das könnte dem iranischen Regime zugutekommen. Es kann einfach warten, bis sich der aktuelle Twittersturm gelegt hat. Und später, wenn ein anderer Hashtag die Öffentlichkeit hinter sich sammelt, kann man die Hinrichtungen doch noch durchführen.
Das Gespräch führte Patricia Moreno.