Reverend Jesse Jackson sitzt in einem grossen, kirchenähnlichen Auditorium. Das hier ist sein Ort, hier lebt die Tradition der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung weiter, die gewaltlos, mit der Eindringlichkeit grosser Worte, Gleichberechtigung für Afro-Amerikaner einforderte.
Ein langer Kampf
«Ich wusste nicht, wie ich meine Tränen verbergen sollte», erzählt er und erinnert an den Grant Park als historischen Ort, wo er 1968 gemeinsam mit Tausenden gegen den Vietnam-Krieg demonstrierte.
Der Kampf gegen die Rassentrennung, der Kampf um das Wahlrecht für Afro-Amerikaner – all dies ging ihm durch den Kopf, als Barack Obama als neu gewählter Präsident die Bühne betrat.
«Seine Präsidentschaft ist das Resultat eines langen Kampfes, eines Marathons. Barack Obama hat die letzte Runde dieses Rennens übernommen, und er ist sie sehr schnell und effizient gerannt. Aber vor dieser letzten Runde gab es viele andere Runden», betont der 75-jährige Baptistenpastor.
In der vordersten Reihe
Wer Rev. Jesse Jackson begegnet, trifft auf Geschichte. Er stand bei den grossen Demonstrationen in der vordersten Reihe, zeigte Solidarität mit den Entrechteten in aller Welt.
Während des Gesprächs zeigt er Bilder: Jesse Jackson mit Muhammed Ali, mit Nelson Mandela, mit Yassir Arafat, mit Fidel Castro – und mit Martin Luther King.
Jesse Jackson war anwesend, als Martin Luther King, die Ikone der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, am 4. April 1968 in Memphis erschossen wurde.
«Er benimmt sich wie ein Weisser»
Gegenüber Barack Obama war Jesse Jackson nicht immer so euphorisch gewesen. Er hatte ihn während des Vorwahlkampfes kritisiert, er benehme sich wie ein Weisser.
Dafür musste er sich entschuldigen. Und doch verbarg sich in dieser Bemerkung ein Hinweis auf Barack Obamas Herkunft, die ihn für viele weisse Amerikaner erst wählbar machte.
Denn Barack Obama steht nicht direkt in der Nachfolge der grossen Bürgerrechtskämpfer, die aus dem Süden der USA stammend, den Finger in die rassistische Wunde Amerikas legten.
Nein, Barack Obama symbolisiert eine andere Generation, ist Kind des multikulturellen Amerikas: sein Vater stammt aus Kenia, seine weisse Mutter hat europäische Vorfahren. Er wuchs teilweise in Indonesien auf. Keiner seiner Vorfahren erlebte die dunkle Periode der Sklaverei.
Aber im Moment seines Wahlsieges spielt das keine Rolle mehr. «Es war ein grosser Moment», sagt Rev. Jesse Jackson: «Da stand ein Afro-Amerikaner, ein Mensch von unserem Fleisch und Blut, von unserem Geist. Er war uns nicht von aussen empfohlen oder aufgedrängt worden. WIR hatten ihn zum Präsidenten der USA gewählt, zu einem der mächtigsten Männer der Welt.»
Er wollte selbst Präsident werden
Rev. Jesse Jackson erzählt, wie er selbst zwei Mal versucht hat, Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei zu werden, 1984 und 1988. Und zwei Mal scheiterte.
Er streut dabei eine Anekdote ein, die deutlich macht, wie sehr die afro-amerikanische Minderheit bis in die Gegenwart diskriminiert wird, wie stark die Auswirkungen der Rassentrennung und Chancenungleichheit in seiner eigenen Familie spürbar waren.
«Als ich kandidierte, wollte mich meine Grossmutter, der ich sehr nahestand, nicht wählen. Nicht weil sie mich nicht liebte, sondern weil sie nie Lesen und Schreiben gelernt hatte. Es war ihr einfach peinlich, beim Registrierungsprozess für die Wahl ein X machen zu müssen, anstatt einfach zu unterschreiben.»
Er beschreibt den Zwiespalt, das Dilemma vor dem sie stand – ihren Stolz zu überwinden, für ihre Würde einzustehen und deshalb zur Wahl zu gehen. Bildung war seiner Grossmutter verweigert worden, diese Narbe war noch immer spürbar.
Manche Afro-Amerikaner konnten das überwinden, begannen Selbstbewusstsein zu zeigen. Einzustehen für sich und ihre Rechte. Und am vorläufigen Ende dieses Kampfes steht am 4. November 2008 Barack Obama, der neu gewählte Präsident und hält eine Rede.
«Yes, we can.»