Zum Inhalt springen

Papst im Zweiten Weltkrieg Warum schwieg Pius XII. zu den Verbrechen der Nazis?

Vor fünf Jahren öffnete der Vatikan die Archive zum umstrittenen Weltkriegspapst Pius XII. Was zeigen die Akten über seine Beweggründe?

Warum hat sich Papst Pius XII. nicht klarer gegen die Vernichtung der Jüdinnen und Juden während des Zweiten Weltkrieges geäussert? Diese Frage steht im Zentrum der Kontroverse um den Weltkriegspapst. Lange Zeit blieben die Motive des Papstes im Dunkeln, denn die Dokumente der Amtszeit von Pius XII. waren 80 Jahre lang unter Verschluss.

Papst auf Balkon, Fahne vorne und mehrere Menschen im Hintergrund
Legende: Papst Pius XII. nach seiner Wahl zum Papst am 2. März 1939 auf der Benediktionsloggia des Petersdoms. Wikimedia Commons/Correio da Manhã Fund, Arquivo Nacional

Das änderte sich vor fünf Jahren. Im März 2020 öffnete der Vatikan die Archive. Seither sichten Forscherinnen und Forscher aus der ganzen Welt die 200'000 Dokumente: Korrespondenzen mit Bischöfen, Seelsorgern, Regierungen und Verwaltungsakten des Vatikans.

Geheime Treffen mit Hitlers Gesandtem

In letzteren Verwaltungsakten wurde der US-amerikanische Forscher David I. Kertzer, Autor des Buches «Der Papst, der schwieg», fündig: «Bereits in den ersten Wochen entdeckten wir Abschriften von geheimen Gesprächen des Papstes mit Philipp von Hessen, einem Gesandten Adolf Hitlers.» Dieser besuchte den Vatikan im Mai 1939, nur zwei Monate nach der Wahl von Eugenio Pacelli zum Papst. «Die Dokumente zu finden, war ein ziemlicher Schock», erinnert sich Kertzer.

Beide Seiten platzierten bei diesem Geheimtreffen ihre Forderungen: Pius XII. verlangte, dass die Nationalsozialisten der katholischen Kirche in Deutschland wieder mehr Freiheiten gewährten, etwa Religionsunterricht, den die Nazis verboten hatten. Und dass die Propaganda gegen die katholische Kirche aufhören müsse. Wenn die Katholiken in Deutschland ihre Religion leben könnten, so der Papst, würden sie treu sein.

Sexuelle Übergriffe als Druckmittel

Von Hessen überbrachte die Botschaft, dass Hitler sich eine Einmischung in die Politik verbitte, ebenso wie öffentliche Aussagen zur Rassenfrage seitens des Papstes. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, sprach von Hessen ein heikles Thema an: Vorwürfe gegen katholische Priester wegen sexuellen Missbrauchs. «Es gab Hunderte von Prozessen gegen Priester», erklärt Kertzer. Dass Hitler sie als Druckmittel benutzte, zeigen die Dokumente nun deutlich.

Nach vier weiteren Geheimtreffen war man sich einig: Der Papst schwieg zu den Verbrechen der Nazis und erkaufte sich damit, dass die Katholiken nicht systematisch verfolgt wurden. Pius XII. hielt sich an die Abmachung, obwohl er Hitler und dessen Ideologie verachtete.

Schweigen im Wissen um die Gräueltaten

Papst Pius XII. schwieg, obwohl er von den Gräueltaten der Nationalsozialisten wusste. Priester und Bischöfe aus ganz Europa berichteten in ihren Briefen an den Papst von der Verfolgung der Jüdinnen und Juden. In den Archiven liegen Hunderte von Bittschriften jüdischer Menschen, die den Papst um Hilfe anflehten.

Doch als die SS am 16. Oktober 1943 in Rom einmarschierte und die Jüdinnen und Juden zusammenpferchte, blieb der Papst zunächst untätig. Er setzte sich auch nicht, wie lange vermutet, beim Nazi-Regime gegen den Abtransport ein. Erst in einem zweiten Schritt nahm der Papst Jüdinnen und Juden auf, die der SS entkommen waren. 4000 jüdische Menschen wurden durch das Kirchenasyl gerettet.

Die neuste Forschung zeigt, wie Hitler eine rote Linie zog und Pius XII. diese nicht überschritt. Er sicherte damit den Bestand der Kirche. Für Historiker David I. Kertzer ist aber klar: «Sein Schweigen, während sechs Millionen Juden ermordet wurden, spricht gegen Pius XII. als moralische Instanz.»

SRF 1, Sternstunde Religion, 19.1.2025, 10 Uhr

Meistgelesene Artikel