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Philosoph über Aussenseiter Moderne Aussenseiter: Wie viel Rebell steckt in Harry Styles?

Der Philosoph Ralf Konersmann hat ein Buch über Aussenseiter-Figuren geschrieben – und findet: In der Popkultur sei der Aussenseiter zur reinen Pose verkommen.

Kaum eine Figur hat eine so wechselhafte Geschichte erlebt wie der Aussenseiter. Lange Zeit galt er als Randgestalt, ausgeschlossen von der Gesellschaft. Doch Ralf Konersmann zeigt in seinem Gross-Essay «Aussenseiter», dass sich dieses Bild grundlegend gewandelt hat.

Mann mit Brille vor rotem Hintergrund.
Legende: Philosoph Ralf Konersmann ist Autor zahlreicher Aufsätze, Essays und Feuilletons und emeritierter Lehrstuhlinhaber am Philosophischen Seminar der Universität Kiel. Paula Markert

Heute ist der Aussenseiter nicht mehr nur Randphänomen, sondern ein kalkuliertes Konzept, das in Popkultur, Politik und digitaler Sphäre gezielt eingesetzt wird.

Vom Nonkonformisten zur Marke

Konersmann beschreibt, wie der rebellische Geist des Aussenseiters zur stilisierten Attitüde wurde. Einst kommentierten Künstler, Intellektuelle und Querdenker die Gesellschaft von aussen, heute ist Aussenseitertum oft nur noch Image-Strategie.

Der Markt hat das Unangepasste absorbiert – es wird in Werbung, Mode und Popmusik inszeniert. «Coolness» ist zur risikolosen Form des Nonkonformismus geworden. Wo früher Provokation Wandel anstiess, geht es heute vor allem um Verkaufszahlen.

Soziale Dynamik

Die moderne Gesellschaft duldet Aussenseiter nur in klar definierten Bahnen. Konersmann analysiert den Zwang zur Zugehörigkeit und die paradoxe Dynamik und schreibt: «Am Ende ist es unmittelbar das Inklusionsgebot selbst, das den Einzelnen vor die Entscheidung stellt, entweder die Geborgenheit der Gemeinschaft zu suchen oder sich durch Exklusion zu definieren.»

Wenn ich nicht besser bin, so bin ich wenigstens anders.
Autor: Jean-Jacques Rousseau Schriftsteller und Philosoph

Gerade die Popkultur hat die Figur des Aussenseiters adaptiert, und auch die Politik nutzt sein Image. Konersmann zeigt, dass Aussenseiter nicht nur passive Opfer sind, sondern strategische Selbstvermarkter. Bereits Rousseau erkannte, dass Aussenseitertum eine Bühne sein kann: «Wenn ich nicht besser bin, so bin ich wenigstens anders.»

Inszenierte Pose

Während Popstars mit ihrem Aussenseiter-Image ganze Karrieren aufbauen, wird das Prinzip auch in der Politik gezielt genutzt. In einer Zeit, in der Vertrauen in Institutionen schwindet, bietet die Pose des Aussenseiters einen Vorteil: Sie suggeriert Unabhängigkeit, Rebellion und Unbestechlichkeit.

Konersmann: «Die Popkultur zeigt uns täglich, wie weit man gehen kann, was man sich herausnehmen darf. Manche Stars leben von dieser Aussenseiterrolle, sie inszenieren sich als Regelbrecher. Dieses Prinzip strahlt längst auf andere Bereiche aus – bis hin zu Politikern, die sich als ‹Anti-Establishment› inszenieren.»

Aussenseiter im digitalen Zeitalter

Mit dem Internet hat sich die Dynamik noch einmal verändert. Digitale Subkulturen entstehen rasant – und verschwinden ebenso schnell. Wer gestern noch als radikaler Aussenseiter galt, wird heute von Algorithmen in den Mainstream gespült.

Person in rosa Federjacke bei Konzert auf Bühne singend.
Legende: Im Gegensatz zu Rebellen-Figuren wie Jim Morrison oder Frank Zappa sieht Konersmann bei gegenwärtigen Pop-Stars wie Harry Styles nur «artig vorgetragene Harmlosigkeiten». Imago Images/Spiritlevel Cinema/Album

Plattformen wie Youtube oder Tiktok nutzen diese Ästhetik gezielt für Reichweite und Werbeeinnahmen. Abweichung wird belohnt – solange sie sich vermarkten lässt.

Aussenseiter – Ausdruck des Unberechenbaren

Die Figur des Aussenseiters spiegelt den Zustand einer sich wandelnden Gesellschaft wider. Individualismus wird gefeiert, solange er sich ökonomisch verwerten lässt. Doch echtes Anderssein wird schwieriger – weil es entweder integriert oder ignoriert wird.

Buchhinweis

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Ralf Konersmann: «Aussenseiter: Ein Essay. Funktion, Rolle und Geschichte des Aussenseiters von der Antike bis zu den Querdenkern». S. Fischer, 2025.

Konersmann fordert uns auf, diesem Widerspruch nachzugehen: Ist der Aussenseiter noch eine widerständige Figur oder nur noch eine Pose, die sich in Klicks und Followern messen lässt? Vielleicht ist das wahre Aussenseitertum heute genau das: Sich der Vereinnahmung zu entziehen.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 29.4.2025, 17:20 Uhr

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