Seit dem Todesfall von George Floyd wird auch in der Schweiz diskutiert, wie rassistisch unsere Gesellschaft ist. Kann diese Debatte nachhaltig etwas verändern? Ja, sagt die Anwältin und Mediatorin Nora Refaeil: Wenn man auch die Institutionen in den Blick nimmt.
SRF: Auch in der Schweiz gehen Menschen gegen Rassismus auf die Strasse. Mit welchem Ziel?
Nora Refaeil: Einerseits geht es um Solidarität – mit der schwarzafrikanischen Bevölkerung in den USA und mit allen von Diskriminierung betroffenen Personen. Andererseits geht es auch darum, auf die Diskriminierungen, die bei uns in der Schweiz stattfinden, aufmerksam zu machen.
Im Vergleich mit den USA steht die Rassismus-Debatte in der Schweiz erst am Anfang. Weshalb ist das so?
Sie steht eigentlich nicht wirklich am Anfang. Vielleicht haben die Proteste aktuell ein bisschen zugenommen. Man verschafft sich ein bisschen mehr Gehör.
Aber die Frage nach der Diskriminierung und die Bekämpfung der Diskriminierung läuft auch in der Schweiz schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten. Es ist nur leider so, dass bis jetzt niemand zugehört hat.
Es ist wirklich wichtig, jetzt nicht nur auf die USA zu schauen.
Es geht um die Kinder der Generation von Migranten, die hierhergekommen sind und leise und still ihre Arbeit verrichtet hat. Deren Kinder sind hier aufgewachsen, haben hier eine Sprache und eine Identität gefunden und bestehen darauf, anerkannt zu werden.
Glauben Sie, dass der Tod von George Floyd und die Proteste in den USA hier in der Schweiz nachhaltig etwas in Gang setzen?
Es ist wirklich wichtig, jetzt nicht nur auf die USA zu schauen. Sondern auch darauf, was bei uns läuft. Auch bei uns sind schon Menschen an Polizeigewalt gestorben, zum Beispiel in Lausanne.
Auch bei uns finden Diskriminierungen von schwarzen Menschen statt, etwa in Zusammenhang mit Racial Profiling. Auch von Leuten, die nicht schwarz sind, die aber anders aussehen, eine andere Religion haben, eine andere Ethnie haben, etwa Jenische, Sinti, Manouche, Roma … Es gibt eine lange Geschichte der Diskriminierung.
Es gilt jetzt, das genau anzuschauen: Die Geschichte, die zu dieser Diskriminierung geführt hat. Die Institutionen, die dazu führen, die strukturellen und kulturellen Themen. Wir können nicht nur auf ein Land verweisen und uns damit aus der Verantwortung nehmen.
Was müsste sich in der Schweiz beim Thema institutioneller Rassismus genau ändern?
Zunächst muss man von dieser defensiven Haltung wegkommen. Also nicht immer verneinen, dass es Diskriminierung gibt. Es geht darum, dass man anerkennt, dass alle Menschen Vorurteile haben und Diskriminierungen bestehen. Es gibt wissenschaftliche Studien hierzu und auch Erfahrungsberichte.
Dann muss man die Abläufe, Strukturen und Normen screenen. Sind sie menschenrechtskonform? Wenn nicht, muss man das ändern.
Es ist nicht eine Frage von Zuversicht. Es muss sich einfach ändern.
Schliesslich geht es darum, zu schauen: Wer sitzt in den Institutionen? Ist die Bevölkerung der Schweiz dort adäquat repräsentiert? Die Leute, die bereits in den Institutionen sitzen, müssen entsprechend geschult werden.
Im Moment sind Migrantinnen und Migranten in den Institutionen unterrepräsentiert. Sind Sie zuversichtlich, dass sich das in Zukunft ändert?
Es ist nicht eine Frage von Zuversicht oder nicht. Es muss sich einfach ändern. Und es wird sich sicher ändern.
Das Gespräch führte Philippe Erath.