Viele junge Menschen informieren sich über soziale Medien oder YouTube-Kanäle. Dort werden News und Meinungen, politische Beeinflussung und Information mitunter bunt gemischt. Die Medienwissenschaftlerin Corinne Schweizer kritisiert, dass der Schweizer Gesetzgeber diese und andere Kanäle im vorgeschlagenen Mediengesetz aussen vorlässt.
SRF: Das Jahrbuch Qualität der Medien zeigt auf: Immer mehr junge Menschen informieren sich nicht mehr über die traditionellen Medien wie Radio, Fernsehen, Zeitungen, sondern über Soziale Medien. Warum?
Corinne Schweizer: Ein Grund ist die Technologie. Junge Menschen sind heute mit dem Handy unterwegs, nutzen dieses ständig. Fernsehen- und Radioprogramme und auch Zeitungsartikel sind für sie nur noch attraktiv, wenn sie auf dem Handy verfügbar sind.
Kommt hinzu, dass das Internet ein grosses, reichhaltiges Buffet an Informationen bereithält. Für jüngere Menschen macht es oft keinen Unterschied, woher diese Informationen genau kommen. Sie bedienen sich an dem, was sie vorfinden, was der Algorithmus ihnen vorschlägt. Es ist deshalb wichtig, die Medienkompetenz der Jugendlichen zu fördern.
Wie soll das gehen?
Indem etwa Redaktorinnen und Redaktoren etablierter Qualitätsmedien auch weiterhin in die Schulen gehen und erzählen, wie sie arbeiten. Und den Jugendlichen nun auch erklären, dass ein Qualitätsmedium eben anders arbeitet als ein YouTube-Kanal, wo sehr oft eine Person alleine vor der Kamera steht und die Welt erklärt, aus einer sehr subjektiven, meist auch weltanschaulich eindeutigen Perspektive.
Das Bundesgesetz über elektronische Medien, das derzeit in die Beratung des Parlaments kommt, soll keine YouTube-Kanäle regeln, welche Meinungen zum Besten geben. Also keine Kanäle wie etwa Teleblocher, der Blog von Tamara Wernli oder der Kanal von Roger Köppel. Aber auch keine andere elektronischen Nachrichtenformate. Ist das sinnvoll?
Es ist insofern verständlich, wenn man sich die medienpolitische Situation in der Schweiz anschaut: Artikel 93 der Bundesverfassung kann man so interpretieren, dass er kein gattungsunabhängiges Mediengesetz vorsieht. Und im medienpolitischen Diskurs in der Schweiz ist die Stimme derjenigen Zeitungsverleger am lautesten, die Regulierung generell ablehnen.
Es ist aber nicht logisch, wenn man sich vor Augen hält, wie junge Menschen heute Medien nutzen. Hier überlassen wir es Facebook, Google und YouTube allein, über ihre Nutzungsbedingungen und «Gemeinschaftsregeln» Grenzen zu setzen und diese auch durchzusetzen. Das ist für mich, angesichts der heutigen Mediennutzung ein wenig bedenklich.
Die EU reagiert auf die zunehmende Bedeutung der Onlinekanäle mit einer Richtlinie, die zumindest fordert, dass es klarere Grenzen zwischen Werbung und Inhalt geben soll. Auch Deutschland nimmt Onlineanbieter stärker in die Pflicht. Warum die Schweiz nicht?
Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir in der Schweiz gut 10 Jahre hinterherhinken mit unserer Mediengesetzgebung. Die EU hat bereits 2007 ihre damalige Fernsehrichtlinie in eine audiovisuelle Mediendienstrichtlinie umgewandelt und damit den Onlinebereich mit einbezogen – YouTube war damals aber noch nicht Teil dieser Richtlinie.
Facebook oder auch YouTube setzen ihre eigenen Richtlinien nicht immer konsequent durch.
Das ändert sich jetzt. Die EU ist daran diese Richtlinie zu überarbeiten und hat dafür neu den Begriff der Videosharing-Plattformen eingeführt. Damit wird signalisiert, dass nicht nur die Nutzerinnen und Nutzer, sondern auch die Plattformen eine Verantwortung für die verbreiteten Inhalte haben. In Deutschland, wo aktuell der «Rundfunkstaatsvertrag» in einen «Medienstaatsvertrag» reformiert wird, werden die neuen Player im Markt unter dem Begriff der «Intermediären» angesprochen.
Viele, die gerade auf YouTube sehr meinungsbetonte, manchmal auch extreme Positionen vertreten, berufen sich aber auf die Selbstverantwortung.
Grundsätzlich ist Selbstverantwortung gut, und es ist gut, wenn sich YouTube-Blogger selbstverantwortlich verhalten. Das Problem dabei ist, dass diese Selbstverantwortung Grenzen hat und wir nicht blind darauf vertrauen können. Auch die Frage, nach welchen Kriterien Plattformen wie Facebook oder YouTube von Nutzerinnen und Nutzern als missbräuchlich gemeldete Inhalte bewerten und allenfalls löschen, verdient unsere Aufmerksamkeit.
Was sollte der Gesetzgeber tun, um zu verhindern, dass in den Sozialen Medien, gerade auch auf YouTube, extreme Meinungen in der Form von Nachrichten oder Blogs verbreitet werden?
Im Bundesgesetz über die elektronischen Medien gibt es immerhin die Möglichkeit, dass bestimmte Onlinemedien gefördert und mit einem Leistungsauftrag versehen werden.
Damit schafft man so etwas wie «Inseln» im Meer der vielen Anbieter, also Orte, wo ich weiss: hier wird Qualität geliefert. Aber gerade die YouTube-Kanäle, auf denen sich viele junge Menschen informieren, lässt man so natürlich komplett aussen vor.
Das Gespräch führte Christoph Keller.