Seit ich von zu Hause ausgezogen bin, lebe ich in Wohngemeinschaften. Beim Thema Putzen kenne ich deshalb sämtliche Modelle. Egal ob rotierender Ämtliplan, ein gemeinsamer wöchentlicher Putztag oder Putzen nach Gutdünken – Konflikte gab es immer. Dennoch beschloss keine WG jemals, eine Reinigungskraft einzustellen.
Das latente Unwohlsein
Das änderte sich, als ich in Basel in die Wohnung meines Partners und seiner Mitbewohnerin zog. Sie beschäftigen Teresa, die hier beim Vornamen genannt werden will und zweimal im Monat für Sauberkeit sorgt. «Dann gibt es keinen Stress wegen des Putzens», heisst es von meiner Mitbewohnerin.
Ich fühlte mich unwohl. In meiner sozialen Blase wurde Care-Arbeit, wozu auch die Reinigungsarbeit zählt, oft politisch diskutiert. Denn prekäre Arbeit ist im Reinigungssektor weit verbreitet: Die Menschen sind häufig unterbezahlt und arbeiten unter harten, zum Teil gefährlichen Bedingungen.
Zwar kommen so Menschen einerseits zu Arbeit. Andererseits führt das Auslagern von Care-Arbeit dazu, dass die Tätigkeit im Niedriglohnsektor verschwindet und kaum Wertschätzung erfährt.
Mein Freund hielt dagegen: «Das passiert hier alles unter fairen Bedingungen.»
Eine von Tausenden: Teresa
Zeit, sich das Thema genauer anzuschauen. Dafür treffe ich zunächst Teresa. Im Jahr 2012 verliess sie Portugal, um ihrem Mann in die Schweiz zu folgen. Er hoffte hier auf bessere Berufschancen. Sie hingegen gab ihren sicheren Job in einem Unternehmen auf. In Basel kümmerte sie sich zunächst um ihre zwei kleinen Kinder.
Als sie schliesslich nach Arbeit suchte, stiess sie auf ein internationales Reinigungsunternehmen mit Sitz in Basel. Dieses vermittelte ihr Privathaushalte, in denen sie sauber machte. «Die Angestellten und die Kunden sprachen Englisch. Das war gut für mich», sagt Teresa.
Das Bundesamt für Statistik (BFS) hat mittels Umfragen 107'000 Reinigungskräfte in Privathaushalten, Hotels und Büros im Jahr 2021 erfasst. Nicht registriert sind privat angestellte Haushaltshilfen und die noch immer weit verbreitete Schwarzarbeit. Laut der Gewerkschaft Unia sollen über 80 Prozent Frauen sein. Der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte wird ebenfalls auf 80 Prozent geschätzt.
Löhne in der Branche
Teresa ist sozusagen der Prototyp einer Schweizer Reinigungskraft. Ihre Geschichte steht für die Erfahrungen vieler.
Als Teresa 2013 anfing zu arbeiten, verdiente sie 18 Franken pro Stunde. Das entsprach damals ungefähr dem im Gesamtarbeitsvertrag der Reinigungsbranche festgelegten Mindestlohn. Heute liegt dieser in der Deutschschweiz für ungelernte Arbeitskräfte inklusive Ferienzuschlag bei 20.20 Franken, für gelernte Fachkräfte gibt es bis zu 24.75 Franken pro Stunde.
«Als ich anfing zu arbeiten, dachte ich, ich weiss, wie man sauber macht», sagt Teresa. «Aber das stimmte nicht. Mit jedem neuen Haus habe ich dazugelernt.» Sicherlich, sie hätte Weiterbildungen oder einen Deutschkurs machen können. Aber erst einmal musste sie sich durchschlagen.
«Sie sagte mir: Du bist eklig»
Ihre Erfahrungen waren nicht nur positiv. Im Haus einer älteren Frau sei sie ständig herumkommandiert worden: «Sie sagte mir: ‹Du bist eklig. Leg deine Brille nicht auf den Tisch›», erinnert sich Teresa. Sie erzählt auch von rassistischen Übergriffen: «Sie sagte mir: ‹Du musst Deutsch lernen.› Und sie wollte, dass ich ihr aus der Zeitung vorlese.»
Für ein anderes Unternehmen reinigte Teresa einmal eine Supermarkt-Filiale, sie bekam ungewaschene Arbeitskleidung. Auf das Geld hätte sie lange warten müssen.
Pionierprojekt «proper job»
Das Projekt «proper job» will in der Branche vieles besser machen. Es gehört zum Beratungsunternehmen fairness at work, das Pia Tschannen vor bald 20 Jahren gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner gründete.
Bereits in ihrer Diplomarbeit beschäftigte sich die Sozialgeografin mit prekären Arbeitsbedingungen in der Reinigungsbranche: «Ich hatte festgestellt, dass die Arbeit in Privathaushalten oftmals nicht versichert ist, es keine Altersvorsorge gibt und es sich vielfach um Schwarzarbeit handelt», sagt Tschannen.
«proper job» macht heute 90 Prozent des Gesamtumsatzes von Fairness at Work aus. Aktuell sind dort 320 Mitarbeiterinnen (es sind fast nur Frauen) in unterschiedlichen Vertragsverhältnissen angestellt, die rund 2300 Privathaushalte reinigen. Für die Mitarbeiterinnen bezahlt «proper job» ein Krankengeld unabhängig von den geleisteten Wochenstunden, die Unfallversicherung, einen 13. Monatslohn, Kinderzulagen und Mutterschaftstaggeld.
Zur Betreuung gehört auch, dass die Frauen über die eigenen Rechte aufgeklärt werden, denn: «Menschen mit einem prekären Status denken oft: ‹Das ist normal, ich muss mit den schlechten Bedingungen auskommen.›»
Ziel sei es, die teils langjährigen Arbeitsverhältnisse zu legalisieren. «Zu unserem Grundkonzept gehört, dass die Haushaltshilfe vorbeikommt und mit dem reinigt, was im Haushalt vorhanden ist, also kein Extrazubehör von uns bekommt», erläutert die Unternehmerin. Geringer Aufwand also, um Kosten zu sparen.
Denn Fairness kostet. Die Kundschaft kann ein Preismodell zwischen 45 und 52 Franken die Stunde wählen, davon geht ein Bruttolohn von 30.25 Franken an die Reinigungskräfte. Viele Kundinnen seien erstaunt: «Wenn die Putzhilfe 50 Franken kostet, dann ist das ja mehr als ich selbst verdiene.»
Dagegen hält Tschannen eine simple Erkenntnis: «Es ist eventuell mehr, als du selbst verdienst, aber niemals mehr als du in einem fairen Angestelltenverhältnis kostest.»
Kampf gegen Schwarzarbeit
Trotz Projekten wie «proper job» prosperiert die Schwarzarbeit in der Branche nach wie vor. Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus kommen so schnell zu Geld. Für andere rechnet es sich am Ende des Tages mehr, als für ein Unternehmen zu arbeiten. Viele Player in der Branche nutzen diesen Missstand, um mit dessen Bekämpfung zu werben.
So auch Batmaid. Seit 2021 hat Batmaid rund 4000 Reinigungskräfte fest angestellt. Gemäss Laura Schollin-Borg, Marketingmanagerin bei Batmaid, zahlt das Unternehmen den Reinigungskräften alle Versicherungsleistungen und Mindestlöhne basierend auf dem GAV sowie ein Krankentagegeld. Eine Stunde Putzen kostet den Kunden durchschnittlich 42.90 Franken.
Auf seiner Webseite schlägt Batmaid beispielsweise eine Steuerbefreiung für gemeldete Reinigungskräfte vor, denn trotz einer Erhöhung des Bruttoeinkommens steige das Nettoeinkommen häufig nicht. Um höhere Einkünfte zu behalten, würden deshalb viele Haushaltshilfen weiterhin schwarz arbeiten.
Andere Plattformen wie homeservice24 agieren als Vermittler zwischen selbständigen Reinigungskräften und der Kundschaft. Die maximale Flexibilität ist praktisch für spontane Anfragen, jedoch ein Nachteil für die Haushaltskräfte, die je nach Vertrag allzeit bereit sein müssen. Im Gegensatz zu «proper job» sind die Arbeitskräfte bei homeservice24 nicht fest angestellt. Die Kunden sind selbst Arbeitgeber und bezahlen für eine Personalvermittlung und den administrativen Aufwand.
Viel Eigenverantwortung im privaten Sektor
Mein Freund wollte die Kommission solcher Vermittlungsfirmen umgehen und die Putzhilfe selbst anstellen. Um Schwarzarbeit weiter einzudämmen, unterstützen die Kantone solche Vorhaben mit vereinfachten Abrechnungsverfahren. Eine Unfallversicherung müssen die Arbeitgeber selbständig abschliessen.
Auf Teresa stiess mein Partner beim Kleinanzeigenportal Tutti. Wir bezahlen ihr einen Bruttolohn von 35 Franken (29 Franken Netto) die Stunde, inklusive Ferientage. Ich frage Teresa, ob das ein guter Lohn ist. «Es ist fair», sagt sie. «Wenn ihr mich über ein Unternehmen buchen würdet, müsstet ihr viel mehr zahlen. Das fände ich für euch wiederum nicht fair.»
Wie viele andere rechnet Teresa noch im System Schwarzarbeit: Was bekomme ich am Ende raus? Wie viel verdient die Firma an mir?
Teresa, die heute 50 Jahre alt ist, hat ihren Wert schnell kennengelernt. Den Unternehmen kehrte sie den Rücken. Der zunehmende Fachkräftemangel spielt ihr dabei in die Hände: Auf ihre selbst geschaltete Anzeige melden sich regelmässig Leute.
«Ich möchte mir das Haus selbst aussuchen», sagt sie. «Wenn sich jemand meldet, spreche ich über meine Bedingungen. Ich bleibe nur, wenn es für sie und für mich passt.»
Die Würde der Reinigungsarbeit
Zum Thema Würde in der Reinigungsbranche hat die Wirtschaftswissenschaftlerin Jana Costas eine Feldstudie am Potsdamer Platz in Berlin durchgeführt. Ein halbes Jahr schrubbte sie mit dem Personal einer grossen Reinigungsfirma den Dreck der Angestellten in den glänzenden Bürotürmen weg.
«Die Reinigungskräfte haben es als wahnsinnigen Angriff auf sie selbst wahrgenommen, wenn ihnen jemand gesagt hat: Du hast hier nicht richtig sauber gemacht», sagt Costas. «Da ist mir bewusst geworden, wie stark sie daran hängen, diese Arbeit zu machen und darüber Würde erlangen.»
Glatte Decken, glänzendes Bad
Nachdem Teresa bei uns war, glänzt das Bad, wie ich es selbst niemals zum Glänzen bringen würde. Das Bett ist gemacht – die Decken werfen keine einzige Falten. Teresa sagt dazu nur einen Satz: «Wenn ich sauber mache, dann möchte ich auch ein Ergebnis sehen.» Ich frage nach: Macht dir die Arbeit Spass? Bist du stolz darauf? Zweimal nickt sie.
«Die Menschen wollen als hart arbeitende Person wahrgenommen werden», sagt Jana Costas. Und der Dreck? Der Ekel? Der unendliche Staub, der nie so richtig verschwinden will?
«Viele befürchten, dass die Kundschaft immer noch etwas findet, das nicht sauber ist», sagt sie. «Aber viele sind auch stolz, wenn sie hartnäckigen Dreck wegmachen, auch wenn sich einige dabei ekeln.» Der Satz eines Mitarbeiters spiegle die Ambivalenz wider: «Auge hat Angst, Hand macht.»
Die eigenen Vorbehalte akzeptieren
Abermals äussert sich Teresa pragmatisch: «Ich habe meinen Job akzeptiert», sagt sie. «Menschen machen Dreck. Das ist normal. Und ich mache sauber. Punkt.»
Und ich? Ich bin froh, Teresa etwas besser kennengelernt zu haben. Ich schäme mich immer noch ein bisschen, dass sie meinen Dreck wegmacht. Aber das ist mein Problem. Seitdem ich gespürt habe, dass sie sich nicht schämt, sondern stolz auf die harte Arbeit ist, die nicht alle imstande sind zu tun, akzeptiere ich den Markt ein kleines bisschen mehr.