1980 veröffentlichte Howard Zinn ein ungewöhnliches Buch über die Geschichte des US-amerikanischen Volkes. Die Perspektive war neu: Er betrachtete die USA nicht durch die Linse der Mächtigen, sondern aus der Sicht der Machtlosen, der einfachen Menschen und der Unterdrückten.
Diese Herangehensweise machte sein Werk in den USA zu einem Bestseller, mit einer Auflage von über zwei Millionen Exemplaren. Passend zum Präsidentschaftswahlkampf in den USA liegt dieses einflussreiche Geschichtswerk erneut in deutscher Übersetzung vor.
«Es gibt keine objektive Geschichte»
Howard Zinn war nicht nur Historiker, sondern auch Bürgerrechtler, der sich für eine «Geschichtsschreibung von unten» einsetzte. Sein Buch «Eine Geschichte des amerikanischen Volkes» beleuchtet die Geschichte der USA von der Landung von Christoph Kolumbus bis zur Ära von George W. Bush, in einer Neuauflage im Jahr 2003.
Sein Motto ist griffig: «Es gibt keine objektive Geschichte. Es gibt nur eine Geschichte, die erzählt wird, und sie wird von denen erzählt, die Macht haben.»
Statt die glorreichen Momente zu betonen, legt Zinn den Fokus auf die Ausbeutung und Unterdrückung von Minderheiten. Dabei zieht er immer Parallelen zur strukturellen Ungerechtigkeit in den USA und nennt das Übel beim Namen.
Wer profitiert – wer nicht?
Wie ein roter Faden zieht sich das Missverhältnis von Reich und Arm durch die Geschichte der USA. Zinn formuliert es so: «Die Immigranten, die Armen, die Verlorenen, Schwarze in New Orleans, Arbeiter, die ihre Jobs verloren haben, die 40 Millionen ohne Krankenversicherung. Es gibt eine riesige Zahl von Menschen, die vom Reichtum dieses sehr reichen Landes nicht profitieren.»
Besonders kritisiert Howard Zinn die US-Aussenpolitik: Im Kapitel «Das Imperium und das Volk», das den im öffentlichen Bewusstsein wenig verankerten Philippinisch-Amerikanischen Kolonialkrieg von 1899 mit seinen 100’000 Toten behandelt.
Auch den Vietnamkrieg brandmarkt Zinn als brutales Zeugnis kolonialer Politik, indem er Kriegsverbrechen wie das Massaker von My Lai und das Flächenbombardement von Vietnam und Kambodscha in den Fokus rückt.
Bibel der Bürgerrechtsbewegung
Neben seiner historischen Arbeit war Zinn auch vehementer Bürgerrechtler. Sein Engagement gegen den Vietnamkrieg machte ihn zum Ziel der Überwachung durch das FBI. Er spielte eine wichtige Rolle bei der Veröffentlichung der Pentagon-Papiere im Jahr 1971, als Daniel Ellsberg geheime Regierungsdokumente an die New York Times weitergab.
Auch wenn Zinn den Bogen gelegentlich überspannt und Amerikas Geschichte durchweg in dunklen Farben zeichnet, bleibt sein aufwühlender und faktenstarker Geschichtsklassiker ein wichtiges Werk der Bürgerrechtsbewegung.
«Eine Geschichte des amerikanischen Volkes» erinnert daran, dass Amerikas Historie nicht nur von glorreichen Momenten geprägt ist. Zinn erzählt auch von zahlreichen Kämpfen der unterdrückten und stigmatisierten Bevölkerungsgruppen, etwa gegen schlechte Arbeitsbedingungen und politische Benachteiligung.
Über 40 Jahre nach Erscheinen ist das Buch noch immer ein aufwühlender Ritt durch die Schattenseiten amerikanischer Politik und lässt erahnen, warum die USA bis heute eine zerrissene Nation sind.