Optimismus wird gerne belächelt oder gar als unverantwortlich weltfremd verspottet – angesichts der Kriege, der Klimakrise oder der politischen Polarisierung. Der britische Physiker Sumit Paul-Choudhury, zehn Jahre lang Chefredaktor des Wissenschaftsmagazins «New Scientist», sieht das anders: «Wir sind alle geborene Optimisten», schreibt er.
Sein neues Buch «The Bright Side. Eine optimistische Geschichte der Menschheit» zeigt, dass es sich lohnt, mit etwas Optimismus ins neue Jahr einzusteigen.
Optimismus sei bereits in unseren Genen angelegt. Paul-Choudhury stützt seine Thesen auf Erkenntnisse der Neurowissenschaften und der Psychologie. «Wie optimistisch wir sind», schränkt er allerdings ein, «hängt (…) vor allem davon ab, was nach unserer Geburt mit uns geschieht».
Menschen überschätzten ihre Aussichten auf Glück und unterschätzten ihre Aussichten auf Unglück. Etwa 80 Prozent der Menschen zeigten dieses Denkmuster, wird die Neurowissenschaftlerin Tali Sharot im Buch zitiert; zehn Prozent seien Realisten, zehn Prozent Pessimisten.
Optimismus als Antrieb
Paul-Choudhury propagiert jedoch keinen naiven oder fatalistischen Optimismus der Marke «Es wird schon alles gut gehen»: «Optimismus veranlasst uns zum Handeln, selbst wenn der Ausgang ungewiss ist», schreibt er. Unternehme man nichts, könne man die Herausforderungen des Lebens nicht bewältigen. Passivität bringe weder einen selbst noch die Gesellschaft voran.
Optimismus scheint mir die einzige Haltung zu sein, die einzunehmen sich lohnt.
So erzählt Sumit Paul-Choudhury von der taubblinden Helen Keller, die sich 1903 mit einer aufmerksamen Lehrerin von ihren Einschränkungen befreien und Autorin, Rednerin und Aktivistin werden konnte.
Er berichtet von der Biochemikerin Katalin Karikó, die trotz Jahrzehnten der Marginalisierung an Universitäten unbeirrt an der mRNA-Technologie forschte, die beispielsweise für Covid-Impfstoffe wertvoll ist, und für die sie 2023 schliesslich den Nobelpreis für Medizin erhielt.
Er zeichnet die Geschichte des Abwassersystems von London nach, das im 19. Jahrhundert die Stadt endlich von Seuchen und Gestank befreite. Alles Erfolge, die sich erst nach langen, von Optimismus getriebenen Anstrengungen einstellten.
Von persönlicher Geschichte inspiriert
«Optimismus ist eine Ressource, die wir anzapfen können, wenn es hart auf hart kommt», schreibt Paul-Choudhury. Für ihn kam es hart auf hart: «Zum Optimisten wurde ich in der Nacht, als meine Frau starb.» Der Trauerfall habe ihm die Gelegenheit und die Motivation verschafft, sein Leben von Grund auf zu überdenken und neu zu gestalten.
Der kritische Rationalist, der den Optimismus zuvor eher als einen unnötigen Glauben betrachtet hatte, kam zum Schluss: «Optimismus scheint mir die einzige Haltung zu sein, die einzunehmen sich lohnt.»
Kein Ratgeberbuch
«The Bright Side» verspricht keine einfachen Lösungen. Es lädt verständlich und spannend dazu ein, das scheinbar Unmögliche zu denken und anzupacken. Auch weil der Mensch seit Urzeiten über diese Qualität verfügt.
So gesehen wirkt der Optimismus, trotz der Wirrungen unserer Zeit, nicht verfehlt.