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Besprechung des Sachbuches «Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen» von Achim Dörfer
Aus Kultur-Aktualität vom 20.12.2021. Bild: Getty Images/Heritage Images
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Sachbuch von Achim Doerfer Der vergessene jüdische Widerstand gegen die Nazis

Jüdinnen und Juden waren im Zweiten Weltkrieg nicht bloss Opfer. Viele wehrten sich gegen Nazis, wie ein Sachbuch zeigt.

Der millionenfache Mord an Jüdinnen und Juden durch die Nazis gehört zum Schrecklichsten, was Menschen anderen Menschen antun konnten. Oftmals werden die Jüdinnen und Juden in der Geschichtsschreibung zum Zweiten Weltkrieg allerdings einzig als Opfer dargestellt. Das sei falsch, kritisiert der Jurist Achim Doerfer, selbst praktizierender Jude.

Gezielte Tötungsaktionen

So werde verschwiegen, dass es einen bewaffneten jüdischen Widerstand gegen die Nazis gab. Das weist Doerfer in seinem Sachbuch «Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen» nach. Der Titel ist ein Zitat des Brigadesoldaten Chaim Miller. Dieser wurde 1945 nach Kriegsende aus Norditalien nach Deutschland verlegt.

Bereits in Norditalien, schreibt Doerfer, hätten sich die Brigadesoldaten Listen ehemaliger SS-Angehöriger verschafft. In Deutschland unternahmen sie dann gezielte Tötungsaktionen, teils getarnt als britische Soldaten.

Ein Mann unterschreibt einen Zettel, drei Männer sehen ihm dabei zu.
Legende: Jüdische Freiwillige melden sich während des Zweiten Weltkriegs in Palästina für die britische Armee. Getty Images/Hulton Archive

Dazu kommen die eineinhalb Millionen Juden, die in den alliierten Armeen dienten. Zudem habe der Anteil an jüdischen Kämpferinnen und Kämpfern in der französischen Résistance zwischen 15 und 30 Prozent gelegen. Doerfer recherchierte etliche solche Zahlen für das Buch.

«Es gab in mehr als der Hälfte der Ghettos Widerstandsgruppen», so der deutsche Jurist. Auch in fast jedem Vernichtungslager habe es massiven Widerstand gegeben. Ausserdem sei der Kampf mit der Befreiung noch lange nicht vorüber gewesen.

Eine Gruppe verängstigter Erwachsener und Kinder wird mit erhobenen Händen von bewaffneten Soldaten eskortiert
Legende: Eine Gruppe von Jüdinnen und Juden wird am 19. April 1943 von SS-Truppen aus dem Warschauer Ghetto in die Vernichtungslager transportiert. Keystone

In die Erinnerungskultur ist allerdings einzig der Aufstand im Warschauer Ghetto eingegangen. Von den jüdischen Rächergruppen, die Nazis töteten, spricht man dagegen nicht. Das Bild wehrhafter Jüdinnen und Juden passt nicht ins Konzept und entspricht nicht dem Vorurteil, diese hätten das Leid passiv erduldet.

Nur ein Bruchteil der Nazis verurteilt

Doerfer kritisiert in seinem Buch auch, wie wenig der deutschen Justiz nach 1945 daran lag, die Mordtaten der Nazis aufzuklären: Von einer halben Million Nazitätern wurden bloss 9000 verurteilt.

Zwei ältere Männer mit Hut
Legende: Der erste deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer (links) 1961 mit seinem Staatssekretär Hans Globke. Der Jurist und ehemalige Nazi Globke hatte 1936 den ersten Kommentar zu den Nürnberger Rassengesetzen verfasst. Keystone

Auch in puncto Entnazifizierung herrschte in Deutschland nach dem Krieg das grosse Schweigen. Das belegt Doerfer mit der hohen Zahl von Nazis, die ab den 1950er-Jahren wieder Stellen als Richter, Staatsanwälte und in Ministerien besetzten. Viele hatten ihre Posten noch bis in die frühen 1980er-Jahre inne.

 NS-Vergangenheit als Karrieredoping

Politik und Justiz hätten jahrzehntelang absichtlich versagt, als es galt, die Schrecken des Naziregimes zu verfolgen, urteilt Doerfer. Statt um Gerechtigkeit sei es bei der angeblichen Entnazifizierung um die Wiedereingliederung der Täter gegangen: «Eine zünftige NS-Vergangenheit sollte sich sogar als veritables Karrieredoping erweisen.»

Die oft beschworene deutsch-jüdische Versöhnung sei angesichts der massenhaften Verschonung der Täter eine Farce. Von jüdischer Seite her sei sie auch gar nicht möglich. «Es gibt in den jüdischen heiligen Schriften die Aufforderung zur Vergebung, aber erst dann, wenn echte Reue gezeigt und Sühne geleistet wird», so Doerfer.

Kaum jemand zeigte Reue

Zudem sei es nicht möglich, dass die Überlebenden stellvertretend für die Toten Verbrechen vergeben. Sie könnten «nur die Taten gegen sich selbst persönlich vergeben». Auch dies jedoch nur, wenn die Täter echte Reue übten. Bloss habe während der wenigen Prozesse kaum ein Nazi Reue gezeigt.

Achim Doerfer erzählt in seinem Buch nicht die geläufige Version des Umgangs mit dem Holocaust. Seine Version schmerzt. Das soll sie allerdings auch. Denn sie trifft die Wirklichkeit besser als die Schlussstrich-Mentalität.

Buchhinweis

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Achim Doerfer: «Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen. Die Rache der Juden, das Versagen der deutschen Justiz nach 1945 und das Märchen deutsch-jüdischer Versöhnung». Kiepenheuer & Witsch, 2021.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 20.12.2021, 17:20 Uhr ; 

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