Das Saisonnier-Statut von 1931 gehört zu den dunklen Kapiteln der Schweizer Geschichte. Während Jahrzehnten durften ausländische Arbeiter nur für neun Monate in der Schweiz arbeiten und mussten das Land danach wieder für drei Monate verlassen.
Die Arbeiter lebten oft zu Hunderten in Baracken unter teils menschenunwürdigen Verhältnissen. Die meisten dieser Saisonnier-Baracken wurden irgendwann abgerissen – auf dem ehemaligen Bührer-Areal in Biel stehen sie bis heute.
Der Kontrast könnte nicht grösser sein: Auf der einen Seite des ehemaligen Areals steht eine grosse Villa, in der der Schweizer Patron der Baufirma lebte – auf der anderen Seite waren die ausländischen Arbeiter in maroden Holzbaracken untergebracht. Historiker Florian Eitel öffnet die Tür zu dieser Zeitkapsel.
In der Baracke gibt es vier Schlaftrakte, einen Aufenthaltsraum und eine Küche. Alles ist noch genau im gleichen Zustand wie in den 1950er-Jahren. «Hier wohnten etwa 100 Saisonniers», sagt er.
Bis in die 1990er-Jahre sollen ausländische Arbeiter hier gelebt haben, doch es wirkt, als wären die Baracken gerade erst verlassen worden. «Man taucht hier in die Geschichte ein, man kann sie erleben», sagt Eitel.
In den leeren und staubigen Räumen liegen noch italienische Zeitungen, ein spanischer Kalender, ein Pin-up-Plakat. Im Nebenraum ein Plumpsklo, das für 100 Arbeiter reichen musste und direkt daneben das Waschbecken, wo die Saisonniers sich wuschen.
Strenge Regularien
Warmes Wasser gab es nicht. Auch die damalige Hausordnung macht klar: Die Menschen lebten hier unter strengster Kontrolle. Besuche waren untersagt und wer Lärm veranstaltete oder die Bettwäsche schmutzig machte, dem drohte ein Lohnabzug.
«Hier gab es zwei oder drei Tische, einen Ofen in der Mitte und man sieht durch die Wände. Es ist so schlecht isoliert, dass sich die Saisonniers über die Kälte beklagten», sagt der Historiker. Im Ofen landete Abfallholz der Baustellen, häufig noch mit Zementresten und Nägeln dran.
«Ich wusste das nicht!»
Alle diese Informationen sind dank eines Dokumentarfilms aus dem Jahr 1974 belegt. Damals mischte sich der italienische Filmemacher Alvaro Bizzarri unter die Saisonniers, liess sie zu Wort kommen und berichtete über die menschenunwürdigen Verhältnisse.
Ende Mai zeigte der Historiker Florian Eitel in einer Ausstellung in den Baracken den Film zusammen mit Fotos jener Zeit. Die Reaktion der Besuchenden war meistens die gleiche: «Ich wusste das nicht!» Obwohl die Baracken mitten in der Stadt liegen, nur fünf Gehminuten vom Bahnhof. «Aber das Areal war abgezäunt, abgetrennt. Die Saisonniers sollten nicht zur Gesellschaft gehören. Die Mehrheit der Gesellschaft wollte sie nicht», sagt Eitel.
Es ist einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass die Baracken in Biel noch stehen. Sie sollen nun ein Erinnerungsort über dieses dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte werden und eine überfällige Debatte anstossen.
«Was wäre die Schweiz ohne diese temporäre und unsichtbare Migration?», fragt der Historiker. «Wer hat die moderne Schweiz gebaut?» Die Staudämme, Autobahnen, Wohnhäuser? Diese Frage gelte früher wie auch heute.
Florian Eitel hofft, dass dieser Ort eine weitere Debatte anstösst: Über die Frage, welche baulichen Zeugen der Geschichte die Schweiz erhalten soll und welche nicht.