Religion wird am Titicacasee überall praktiziert. In Opferritualen für die Pachamama in der freien Natur oder in der Andacht an die Mutter Maria in katholischen Kirchen. Neben dem offensichtlich Religiösen berührte mich aber auch der Ort an sich.
Ich versuche herauszufinden, warum und erinnere mich zurück.
Gesegnet sei dieses Auto
Die frühe Morgensonne bringt Wärme ins bolivianische Copacabana – auf mehr als 3800 Metern über Meer ist es frisch. Vor der berühmten Wallfahrtsbasilika der Stadt reihen sich bereits unzählige mit Blumen geschmückte Autos. Sie warten auf ihre Segnung.
Die in der Basilika verehrte Virgen de Copacabana könne Fahrzeuge und Insassen vor Schaden bewahren, wird hier geglaubt. Jährlich fahren allein deswegen tausende Menschen aus Bolivien und Peru auf die Halbinsel im südlichen Titicacasee.
Zwischen den Autos und den Ständen, die allerlei Devotionalien wie Marienbilder und Blumenketten verkaufen, bleibe ich stehen, um einen Blick auf den entscheidenden Moment zu erhaschen. Der katholische Mönch sprenkelt Weihwasser in die offenen Motorhauben und spricht ein Gebet – dann ist das nächste Gefährt an der Reihe.
Schmelztiegel der Traditionen
Wer sicher sein möchte, besucht danach noch einen Schamanen der Aymara. Mit heilenden Kokablättern bete er die vier Himmelsrichtungen an und sorge damit ebenfalls für eine sichere Fahrt, wird mir erzählt. Es fasziniert mich, wie hier vorkoloniale Riten mit der Religion der spanischen Kolonialherren zusammenfliessen.
Ich laufe die Hauptstrasse hinunter zum Hafen. Auf dem Weg begegne ich überraschend vielen gestrandeten Backpackerinnen, die hier ihren selbstgemachten Schmuck verkaufen. Und ich frage mich, warum sie sich ausgerechnet hier niederlassen.
Gesucht, gefunden
Eine Fahrt auf dem tiefblauen Andenmeer, wie der Titicacasee auch genannt wird, bringt mich auf die nahegelegene Isla del Sol. Schneebedeckte Bergspitzen wechseln sich mit Wolkenfeldern am Horizont ab. Die schiere Schönheit der Natur verzeiht den eisigen Fahrtwind auf offenem Deck.
Vom Dach der rustikalen Unterkunft beobachte ich später die Bewohnerinnen der Insel bei der Arbeit. In ihrer traditionellen Kleidung treiben sie Vieh und schleppen Seegras vom Ufer über die Wiese. Gleich daneben öffnet sich der Weg zur nächsten Bucht. Ein Strand voller Zelte – Reisende verbringen hier kurz- oder längerfristig ihre Nächte.
Wie die Autosegnung hat auch diese Szene etwas Skurriles – das Leben der Einheimischen und jenes der Reisenden könnte unterschiedlicher nicht sein. Aber Reisende scheinen hier gefunden zu haben, was sie suchten. Stille? Schönheit? Etwas Grösseres?
Wiege der Inkas
Die Zeit ist hier wie stehengeblieben und der Ort von seiner Geschichte durchdrungen. Auf dem einzigen Fussweg vom Süden der Insel nordwärts denke ich an den Ursprungsmythos der Inkas, während mein Blick hinunter schweift, über die terrassierten Hügel bis ins unendliche Blau des Wassers.
Hier habe der Sonnengott Inti seine beiden Kinder auf die Erde geschickt. Sie sollen an den Ufern des Titicacasees nordwärts ins Tal von Cusco gelaufen sein und dort die Inkakultur aufgebaut haben.
Es ist wohl die mythisch aufgeladene Stimmung und die Natur, die mich hinreissen. Und ich glaube allmählich zu verstehen, warum Reisende hier in der Abgelegenheit ihr Glück finden und ihre Zelte auch für längere Zeit aufschlagen.