«¿Cómo podría yo vivir sin ella?» – «Wie könnte ich nur ohne sie leben?» schmettern die beiden Flamenco-Sänger und lassen dabei ihre Finger nacheinander über die Gitarrensaiten flitzen. Ich stehe am Mirador de San Nicolás, dem Platz mit der wohl besten Sicht auf die Alhambra.
Über 700 Meter ist die Festung lang, 220 Meter breit, aus rotem Stein, woher sie auch ihren Namen hat: die rote Burg. Dahinter das Gebirge, die Sierra, darunter dichte Bäume.
Im Strom der Touristen
Die Alhambra ist als UNESCO-Weltkulturerbe einer der grössten Touristenmagnete Europas, und zweifelsohne ist diese maurische Festung samt Gärten und Palästen beeindruckend schön.
Doch die Masse an Touristinnen und Touristen erschwert oder verunmöglicht, diesen Ort voll filigraner Schönheit auf sich wirken zu lassen. Zu dicht, zu eng, zu viele selfiemachende Menschen. Eine kurze Bewunderung der reichhaltigen Verzierungen und weiter geht’s im Strom der Besucher.
Unverhofft ins Bañuelo
Wie es der Zufall wollte, gab es bei meinem Besuch vor einigen Jahren Eintrittskarten für die Alhambra nur noch in Kombination mit mehreren unbekannteren Sehenswürdigkeiten im Albaicín, dem alten arabischen Viertel Granadas. So kommen meine beste Freundin und ich zum Bañuelo, dem ältesten erhaltenen arabischen Bad Granadas.
Im Mittelalter war das Bad ein Treffpunkt, an dem sich islamische Menschen wuschen, Haare schneiden liessen, miteinander Tee tranken und sich austauschten. Das Wasser sollte auch den inneren Menschen reinigen. Die Waschung war also auch ein religiöser, spiritueller Akt.
Wir kommen Jahrhunderte später. Erst 2017 wurde dieses alte Bad für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es gibt keine Becken mehr, die Böden sind trocken. Ganz anders also als in anderen Hamams in Granada, die mit heissen und kühleren Wasserbassins und Massageangeboten in Betrieb sind.
Verzückt vom Schattenspiel
Wir treten in die dunklen Räume ein, die durch Bögen miteinander verbunden sind. Der Boden, die Wände und Deckengewölbe sind aus Stein. Grau, rau und kühl. Es ist still im Bañuelo. Automatisch werden auch wir leise und staunen. Die Schönheit des Ortes berührt uns gerade in ihrer Schlichtheit.
Von oben strahlt Licht durch viele kleine Öffnungen, runde und sternförmige, die das Tageslicht gebündelt hereinlassen. Wir schauen auf und flüstern: «Wir sehen den Sternenhimmel.» Ein Schattenspiel, ein Zwielicht entsteht.
Wir stellen uns vor, hier im Wasser zu liegen, über uns das Firmament. Und plötzlich erleben wir einen Moment, zu dem mir das vielleicht etwas kitschige Wort «Verzückung» in den Sinn kommt. Wir tauchen ein und sind Teil einer grösseren Erfahrung, ohne etwas dafür zu tun. Wir sind einfach da. Verzückung, weil dieser Zauber uns überrascht, wir nichts geplant oder geahnt haben. Unverhofft sind wir hier, an einem wunderbaren Ort. Wir fallen durch die Zeit.
Die Wände schützen diese alten Bäder, und doch sind die Räume durch die Lichtschächte verbunden mit dem Aussen. Wir wandeln zwischen den Torbögen umher, spielen mit dem Licht Verstecken, schliessen die Augen, lächeln. Wir schauen uns an und sagen: Was für ein Glück, dass es die Alhambra-Tickets nicht einzeln gab.