Es begann damit, dass ich mich vor vielen Jahren mit einer Gruppe auf eine Bildungsreise nach Marokko begeben wollte. Das Ziel: Einblick in die Welt der Gnaoua und deren Heilungsrituale. Mangels Anmeldungen wurde die Reise annulliert.
Also beschloss ich kurzerhand, auf eigene Faust nach Essaouira loszuziehen. So sass ich an einem Apriltag ganz allein in einem Taxi von Marrakesch Richtung Essaouira – ein Ort, der schon Jimi Hendrix oder Bob Marley verzaubert haben soll.
Im Takt der Trommeln durch die Hafenstadt
In Essaouira angekommen, erwarteten mich eine Nacht mit Trommelklängen und Gesang, enge Gassen voller tanzender Menschen. Das «Gnaoua World Music Festival» war in vollem Gange. Am nächsten Tag fragte ich mich durch: Wo sind die Gnaoua, und vor allem: Wie kann ich an einer Trance-Session, einer sogenannten «Lila» (arabisch für «Nacht»), teilnehmen?
Der junge Marokkaner Mahschid, Musiker und Souvenir-Verkäufer auf der Place Chefchaouni, den ich gleich am ersten Tag kennengelernt hatte, wusste Rat: Man würde eine Lila für mich organisieren. Und er machte mich mit dem Gnaoua Tictic bekannt. Preis: 1000 Dollar und zwei Schafe, die man zu Beginn der Zeremonie opfern würde.
Zig Verhandlungs- und Pfefferminztee-Runden später versprach man mir für ein paar wenige Dollar Einblick in eine Lila in einem Privathaushalt. Diese könne, so hiess es, übrigens bis zu zwölf Stunden dauern.
Zwei Tage später sass ich dann in einer solchen Runde. Eine Frau, die Patientin, sei immer traurig und antriebslos, und mit der Lila würde man nun versuchen, ihr zu helfen. Sie hockte barfuss auf dem Boden, hatte ein Tuch tief ins Gesicht gezogen.
Im Rausch der Trance
Ihr gegenüber sassen der Maâlem, der Zeremonienmeister, die Musiker mit Trommeln (T’bol), Saiteninstrumenten (Gimbri) und Kerkabas. Das sind grosse Metallschellen, ähnlich wie Kastagnetten. Es war kurz vor Mitternacht.
Die Frau erhob sich, bewegte sich mit wild zuckenden Bewegungen zur Musik, die uns alle mit ihren immergleichen Rhythmen einlullte. Der Maâlem legte der Frau während der Zeremonie farbige Tücher über die Schultern; sieben Farben als Symbol für die sieben Erden und Himmel.
Stundenlang hämmerten die Blechkastagnetten, dazu der dumpfe Hall der Gembri, der eintönige Gesang der Männer. Ich verlor jegliches Zeitgefühl, dazu stieg mir der Geruch des verbrannten Räucherwerks in die Nase. Alles fühlte sich an, als läge man in einer Wolke, als würde man davongetragen.
Die Geister sind besänftigt
Nach mehreren Stunden der Trance fiel die Frau unvermittelt zu Boden und blieb mit geschlossenen Augen erschöpft, aber friedlich liegen.
Die Geister, die Dschinn, die sie besessen und ihr Leid zugefügt hätten, seien nun besänftigt und könnten ihr nicht mehr schaden, erklärte man mir. Ihre kranke, von den Dschinn geplagte Seele, sei vom Leben in den Tod und wieder gesund zurück ins Leben gewandert.
Musik und Tanz als Therapie. Diese Stille, die erschöpften Musiker und ihre glücklichen Gesichter im rauchigen Kerzenlicht und daneben diese Frau am Boden, mit dem letzten Umhang, dem gelben als Symbol für Sonne und Ernte, um die Schultern: Das Bild habe ich bis heute nie vergessen.
Waren sie wirklich da, die Geister, die Dschinn? Habe ich sie gesehen, gespürt? Nicht sehen wollen? Ich weiss es bis heute nicht.