Thea brennt darauf, mir von ihrer kleinen Schwester Zora zu erzählen. Kaum bin ich in der Wohnung, zeigt mir die Neunjährige ein Fotobuch. Es zeigt Bilder von Thea mit Baby Zora auf den Armen. «Hier konnte ich sie halten, aber da war sie schon tot», erzählt Thea.
Zora wurde drei Tage und eine Stunde alt. Sie hatte Trisomie 18, eine Entwicklungsstörung, welche die wenigsten Kinder überleben. «Es war von Anfang an klar, dass wir Zora nie nach Hause nehmen können», erinnert sich Isa, Theas und Zoras Mutter.
Isa und ihr Mann Michael haben Thea sofort erzählt, dass ihr Schwesterchen sterben wird. «Mein Leitfaden war: Mit Thea darüber reden. Da sein, wenn sie Fragen hat, oder wenn sie traurig ist.»
«Das hat mich überfordert»
Doch genau das war nicht immer möglich. «Ich war sehr mit mir selbst beschäftigt und habe mich auch sehr hilflos gefühlt – als Mutter, die trauert, mit einer Tochter, die trauert. Das hat mich überfordert», sagt Isa. «Manchmal hatte ich keine Kapazität für Thea. Das tat mir leid.»
So gehe es vielen Familien, sagt Moni Bitzi. Die Kinderpflegefachfrau ist Trauerbegleiterin für Familien. Wenn ein geliebter Mensch sterbe, gerate das ganze Familiengefüge durcheinander. Wichtig sei, dass man sich Hilfe hole – enge Bezugspersonen der Kinder, die einspringen, wenn die Eltern die Kinder nicht trösten können.
Den Tod erlebbar machen
Bei Isa und Thea war es die Grossmutter, die half. Sie war auch im Spital, als sich Thea, damals dreijährig, endgültig von Zora verabschieden musste. «Sie schrie auf, aus tiefstem Inneren, und rannte aus dem Zimmer», erzählt Isa.
Thea erinnert sich nicht an diesen Moment. «Anfangs habe ich nicht begriffen, dass Zora definitiv weg ist», sagt Thea. Die Trauer kam erst später, mit sechs oder sieben Jahren: «Wenn ich im Bett liege und an unsere Familie denke, dann werde ich manchmal richtig traurig.»
Theas Reaktion sei typisch, sagt Trauerbegleiterin Moni Bitzi. «Kinder begreifen erst mit sechs oder sieben, dass der Tod definitiv ist.» Kleinen Kindern fällt es deshalb schwer zu verstehen, dass die Verstorbenen nicht mehr zurückkommen.
«Gerade kleinen Kindern sollte man nicht sagen, Grosi ist auf einer Reise. Oder Opa ist im Himmel.» Am besten sei es, den Tod erlebbar zu machen, den Kindern zu zeigen, dass das Leben den verstorbenen Köper verlassen hat.
Offen über den Tod sprechen
Die Trauerbegleiterin rät zudem, mit Kindern offen über den Tod zu sprechen. «Man muss die Kinder nicht schützen», sagt Moni Bitzi. Wichtig sei, dass man ihnen zuhöre und dass sie Fragen stellen könnten.
Denn Kinder haben eine blühende Fantasie, fragen sich, ob Omi unter der Erde nicht von Würmern gefressen werde, oder ob man Opa die Knochen brechen muss, damit er in die Urne passt.
Kinder trauern anders
Wichtig sei zudem, dass die Kinder trauern dürfen. «Bei Kindern kommt die Trauer in Wellen», erklärt Moni Bitzi. Plötzlich ist sie da, mit Wutausbrüchen, Weinen oder dem Bedürfnis, allein zu sein.
«Wir müssen den Kindern das Gefühl geben, dass das alles ok ist.» Dass es auch in Ordnung sei, wenn die Trauer von einem Moment auf den anderen wieder vorbei ist, wenn das Kind spielen und fröhlich sein möchte.
Und: Die Trauer könne immer wieder kommen. So wie bei Thea – wenn sie heute traurig ist, weil sie an Zora denkt, dann holt ihr Mama Isa den Zoraesel. Ein Geschenk ihres Onkels an Zora, das Thea tröstet.
Um den Tod zu verstehen, schauen sie Bilderbücher an. Seit Kurzem interessiert sich auch Theas kleiner Bruder Aurel für den Tod. Auch wenn er seine Schwester nie kennengelernt hat.