Wie jedes Jahr findet auch diesen November wieder der Schweizer Tag der Pausenmilch statt. Orchestriert wird die Veranstaltung von «Swissmilk», der Organisation der Schweizer Milchproduzenten, und zwar im Auftrag der Stiftung Pausenmilch.
Die Werbeaktion ist allerdings längst nicht mehr so unbestritten wie noch im 20. Jahrhundert. In dessen zweiter Hälfte gab es etwa in Mittelschulen eine Abokarte für tägliche vergünstigte Pausenmilch. Die Schülerinnen und Schüler sollten damit für gesunde Ernährung sensibilisiert werden, so das Argument. Das Milchtrinken sollte zugleich vom Softdrink-Konsum abhalten.
Gleiche Argumente vertritt Swissmilk auch heute. Allerdings überzeugen sie weniger als damals. 2021 rufen mit «Animal Rights Switzerland», «Tier im Fokus» und der «Veganen Gesellschaft» gleich drei Organisationen zum Boykott des Pausenmilchtages auf.
Aus der Zeit gefallen
Die moderne Milchindustrie sei alles andere als tierfreundlich, kritisieren die Organisationen. Zudem sei es nicht mehr zeitgemäss, Kuhmilch in der Schule zu propagieren. Schliesslich würden alternative Produkte in Sachen Tierwohl und Umweltbelastung weit besser abschneiden.
Kaum ein anderes Nahrungsmittel wird hierzulande in der Schule beworben, höchstens vielleicht noch der Apfel. Dass die Milch diesen Sonderstatus erlangen konnte, hat historische Gründe. Das zeigt der Band «Milch für alle», der 2007 zum 100-Jahre-Jubiläum der Schweizer Milchproduzenten erschien. Er zeichnet den Weg zum Schweizer Nationalgetränk nach.
In der Agrarschweiz des 19. Jahrhunderts gehörte die Milch zu den Grundnahrungsmitteln. Mit der Industrialisierung kam es jedoch zu regelrechten Milchkriegen zwischen Bauern, Milchhändlern und Käsern. Das führte zu einer Preistreiberei.
Milchversorgung als Service public
Damals gab es einen politischen Konsens, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner des Landes jeden Tag Milch trinken können sollten, erklärte Peter Moser, Direktor des Archivs für Agrargeschichte und Co-Autor des Buches, 2007 nach dessen Publikation. «Der Vertriebsweg entwickelte sich gemäss der Logik des Service public», so Moser.
1916 beauftragte die Regierung in Bern den Zentralverband Schweizerischer Milchproduzenten, die Versorgung der Bevölkerung mit Milch sicherzustellen. Anders als heute war die Milch damals noch ein leicht verderbliches Produkt, das nicht einfach so auf Vorrat hergestellt werden konnte. Das verstärkte diese Entwicklung.
«Propagandazentrale» für die Milch
Ab 1922 wurde die Milchwerbung zentralisiert und wortwörtlich eine «Propagandazentrale» eingerichtet. Diese trieb die Idee der Milch als Nationalgetränk voran. In den 1930er-Jahren wurde dann die Verteilung von Pausenmilch eingeführt.
Allerdings änderte sich die Situation in den 1950er-Jahren. Damals kam die Pasteurisierung auf. Das verderbliche Gut Milch wurde haltbar. Die Produktion wurde gesteigert, die Kühe immer leistungsfähiger. Das führte zu einem zeitweiligen Milchüberschuss. Dieser brachte weitere Werbeaktionen mit sich, etwa den Slogan «Starke Männer trinken Milch» in den 1960er-Jahren.
Die Milchaktionen in Schulen beruhen somit indirekt auf einer staatlichen Versorgungsregulierung aus den 1910er-Jahren. Nicht nur das, auch der Ruf der Milch als gesundes und notwendiges Grundnahrungsmittel geht auf eine Zeit zurück, in der die sichere Ernährung der Bevölkerung noch eine Herausforderung darstellte.
Im 20. Jahrhundert war der «Tag der Pausenmilch» bei Eltern wie Kindern weitgehend unbestritten. Dem ist heute nicht mehr so. Milchalternativen wie Hafermilch werden immer beliebter, nicht nur bei der Klimajugend. Deshalb dürfte der Widerstand gegen die Gratis-Milch so schnell nicht wieder verschwinden.