Gerade und gesund wachsen die Halme in den Berner Sommerhimmel. Etwa einen halben Meter hoch steht der Hafer auf dem Feld bei Oberbottigen im Westen der Stadt Bern. Der Bauer Marc Lehmann freut sich auf eine gute Ernte: «Ich bin dieses Jahr sehr zuversichtlich.» Der 29-Jährige baut auf dem Familienbetrieb schon länger Hafer an. Finanziell lohnt es sich aber kaum. «Mit Weizen oder Gerste erziele ich auf dieser Fläche einen höheren Ertrag.»
Der Preis für Schweizer Hafer ist schlicht zu tief. Das hat zwei Gründe: Die Bäuerinnen und Bauern behandeln den Hafer stiefmütterlich. Das heisst, sie pflanzen ihn nur nebenbei an und pflegen ihn nicht besonders intensiv. Weil oft auch das Wetter nicht ganz stimmt, ist die Qualität des Schweizer Hafers zudem oft nicht so gut wie die des ausländischen Hafers.
Deshalb brauchen Schweizer Lebensmittelhersteller oftmals Hafer aus dem Ausland, den sie erst noch günstig importieren können, da nur wenige Zölle erhoben werden. Der Schweizer Hafer wird den Tieren verfüttert – obwohl der Hafer dank immer mehr veganer Produkte gefragt ist.
Verschlafen die Bauern nicht einen Trend? Bauer Marc Lehmann sagt: «Wir arbeiten mit Naturprodukten. Es braucht Jahre, um sich anzupassen.» So müssen zuerst Erfahrungen gesammelt werden, wie in der Schweiz am besten Hafer angebaut wird und welche Sorten sich eignen. Doch die Schweizer Landwirtinnen und Landwirte wollen aufholen.
Die Fenaco, die Agrargenossenschaft, zu der auch die Landi-Geschäfte gehören, startet in diesen Tagen ein Projekt. Die Genossenschaft ruft die Bauern dazu auf, vermehrt Hafer anzubauen. Es gibt eine finanzielle Unterstützung: 10 Franken zusätzlich pro 100 Kilo Speisehafer. Das heisst unter dem Strich etwa ein Drittel mehr Geld für den Hafer, der in der Lebensmittelindustrie landet. Dazu überprüfen die Fachleute die Anbaumethoden und die Sortenwahl des Hafers und beraten die Bäuerinnen und Bauern.
«Swissness» und Klimawandel
Fortunat Schmid betreut für die Fenaco das Projekt. Er hofft, dass so mehr und besserer Hafer in der Schweiz angebaut wird und die Schweizer Landwirtschaft vom Hafer-Trend profitieren kann – auch wenn hiesiger Hafer teurer ist. «Wir setzen darauf, dass den Konsumentinnen und der Industrie Schweizer Hafer etwas wert ist.» Fortunat Schmid und die Fenaco setzen also auf «Swissness».
Der Getreidespezialist der Fenaco betont auch, dass Hafer mit dem Klimawandel gut zurechtkommt, meistens gesund ist und so wenig Pestizide braucht – also sich mit einer umweltbewussten Landwirtschaft gut verträgt.
Die Bäuerinnen erhalten mit dem Projekt, das in den nächsten Tagen gestartet wird, Geld und fachliche Unterstützung von der Genossenschaft. Es geht aber auch um die Vermarktung. Fortunat Schmid verhandelt nun mit der Lebensmittelindustrie, damit sie bereit ist, den Schweizer Hafer zu kaufen und zu verarbeiten.
Hafer zu Milch verarbeiten
Bauer Marc Lehmann aus Oberbottigen will künftig mehr auf den Hafer setzen – auf ein Produkt also, woraus künftig Hafermilch werden könnte. Marc Lehmann hat selbst 60 Milchkühe im Stall. Ein Milchbauer hilft mit, vegane Milch zu produzieren – er sieht da keinen Widerspruch: «In meinen Augen konkurrenzieren sich diese Produkte nicht. Sie ergänzen einander.»
Deshalb baut er künftig mit der Hilfe der Fenaco gezielter Hafer an. Den Hafer, der derzeit auf dem Feld im Westen der Stadt Bern wächst, kann er bald ernten. Es fehlen nur noch ein paar trockene und schöne Tage.