Mediengeschichten über Künstliche Intelligenz und Äusserungen von Stars wie Taylor Swift, die ganz sie selbst sein wollen, haben das Wort «authentisch» in den Suchabfragen im US-Wörterbuch «Merriam-Webster» nach oben katapultiert.
Im Englischen ist «authentic» auch darum prestigereich, weil es zum Beispiel eine Küche oder ein Menü mit einem Ursprungssiegel veredelt, eine «Appellation d’Origine Contrôlée» (AOC) gewissermassen.
Was ist heute noch ein Original?
Doch holen wir das Wort ins Deutsche, wo es der Duden als bildungssprachlich charakterisiert. Sein griechisches Vorbild αυθεντικός bedeutet «echt», «als Original befunden».
Das kann heissen: Ein künstlerisches Werk ist echt, nicht gefälscht. Klingt einfach, kann kompliziert sein: 1935 schrieb der Philosoph Walter Benjamin einen Aufsatz mit dem Titel «Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit». Er dachte dabei vor allem über Film und Fotografie nach und stellte fest: Weil sich Kunst vervielfältigen lässt, wandelt sie sich, und auch ihre kollektive Wahrnehmung verändert sich.
Die zahlreichen, allgegenwärtigen Reproduktionen beeinflussen die Menschen. Einerseits können sie der Emanzipation, der Bildung, dem Wissen der Bevölkerung zuträglich sein. Andererseits besteht die Gefahr der Manipulation der Massen. Das erkannte Benjamin in jener Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus früh.
KI und Echtheit
Aufs Digitalzeitalter übertragen: Das Original eines Werkes oder einer Äusserung lässt sich oft nicht mehr eindeutig bestimmen. Künstliche Intelligenz, die zum Beispiel gefälschte Video-, Foto- und Ton-«Dokumente» ermöglicht, verwischen das Echte. So war, als kürzlich der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Video das Verbot der AfD forderte, das nicht authentisch, sondern gefälscht.
Nicht weniger kompliziert verhält es sich mit der etwa in der Kunstwelt und im Geschäftsleben häufig geäusserten Forderung, man solle doch «authentisch» sein – und mit dem trotzigen Bekenntnis, man wolle es sein. Die Sängerin Taylor Swift beispielsweise bekannte dieses Jahr, sie suche ihre «authentische Stimme», ja ihr «authentisches Selbst».
Doch was bedeutet das? Hier entpuppt sich das Wort «authentisch» als vage und subjektive Worthülse. Denn wie jemand wäre, wenn er oder sie radikal «authentisch» wäre, weiss im Innersten vermutlich nicht einmal diese Person selbst mit Sicherheit. Ein unüberprüfbarer Sachverhalt ohne klare Kriterien. Und zugleich ein kaum zu erreichender Idealzustand: sich vollkommen frei zu fühlen von allen Erwartungen, die einen wohl oder übel einengen.
Wer ist man selbst wirklich?
Authentizität als süsse Illusion, höchstens als Annäherung zu verwirklichen. Denn: Kann jemand überhaupt zu 100 Prozent «sich selbst» sein? Alle sind wir geprägt von der eigenen Lebensgeschichte und immer eingewoben in ein Geflecht von Beziehungen, Einflüssen und Erfahrungen. Weil wir Teil der Gesellschaft sind. Als soziales Wesen, das der Mensch zum Glück ist, fügt man sich zwangsläufig mehr oder weniger in sein Umfeld ein und passt sich zumindest ein bisschen dem Umfeld an. Auch wenn man noch so individualistisch-authentisch sein möchte.