Die Frage nach dem Zölibat wurde jüngst durch den desolaten Zustand der katholischen Kirche im Amazonas-Gebiet neu befeuert. Dort kommen auf 800 Gemeinden gerade mal 31 Priester.
Für viele Menschen dieser Region ist es aus kulturellen Gründen weder verständlich noch praktikabel, für den Priesterberuf auf die Familie zu verzichten.
Aber auch die Missbrauchsfälle, die in der Vergangenheit und nahen Zukunft aufgedeckt wurden, haben den enthaltsamen klerikalen Lebensstil in Frage gestellt.
Die Diskussion um das Zölibat ist fast so alt wie das Christentum selbst. Innerhalb der Kirchengeschichte gab es verschiedene Meinungen, wie das gute priesterliche Leben auszusehen habe. Die Enthaltsamkeit war nicht immer Teil davon.
Neue Thesen zur Tradition
Der renommierte Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat kürzlich ein Thesenwerk dazu veröffentlicht. Darin räumt er mit alten Vorurteilen auf und liefert gute Argumente dafür, das Pflichtzölibat abzuschaffen.
Es sei eine Einladung zur Debatte, wie er erklärt. «Auf pointierte Gegenargumente zu meinen Thesen warte ich bisher aber vergebens», so Wolf.
Stattdessen wird er als Traditionsbrecher und Kirchenzersetzer bezeichnet. Speziell die rechte Fraktion der Kurienkardinäle wolle nichts von Wolfs scheinbar progressivem Ansatz wissen. «Dabei bin ich doch derjenige, der sich auf die Tradition bezieht, nicht sie» erklärt er dezidiert.
Woher kommt das Zölibat?
Auf die Ursprünge des Zölibats angesprochen, erklärt Wolf: «Man behauptete lange, dass für den priesterlichen Dienst ‹reine Hände› notwendig seien. Das Ideal der kultischen Reinheit kommt aber aus den religiösen Traditionen der Griechen und Juden. Dort folgt aber weder ein Eheverbot noch Enthaltsamkeit daraus.»
Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit spielten auch ökonomische Interessen eine Rolle. «Die Sicherung der Kirchengüter war einer der Hauptgründe für die allgemeine Einführung des Zölibatsgesetzes in der lateinischen Kirche», erklärt Wolf in seinem Buch. So konnten damals Erbansprüche verhindert werden.
«Schliesslich diente das Zölibat auch als Identitätsmarker und zur Abgrenzung von den Protestanten.» Das Zölibatsgesetz hat sich also historisch entwickelt und die Argumentationen dafür haben sich gewandelt.
«Kein Bruch mit der Tradition»
Gemäss Wolf kamen in den Evangelien selbstverständlich verheiratete und unverheiratete Apostel und Priester gleichwertig und nebeneinander vor – etwa Petrus und Paulus.
Das änderte sich mit der Zeit, speziell durch den Einfluss der stoischen Philosophie und des Kirchenvaters Augustinus von Hippo. Im 4. Jahrhundert sprachen sich mehrere Päpste für eine enthaltsame Lebensweise aus. Gemeinhin wird aber das Jahr 1139, also das 2. Laterankonzil, als Geburtsstunde des Zölibatsgesetzes genannt.
Dem widerspricht Wolf jedoch mit historischer Genauigkeit: Bis ins 20. Jahrhundert sei dieser noch keine Selbstverständlichkeit gewesen. «Tatsächlich ist erst seit 1917 deutlich, dass die Ehe ein Weihehindernis und die Weihe ein Ehehindernis ist», so Wolf.
Aus diesem Grund sei es auch keineswegs ein Bruch mit der Tradition, würde man das Pflichtzölibat abschaffen.
«Ein Risikofaktor»
Nebst den historischen Argumenten spricht für Wolf ganz klar auch der Missbrauchsskandal für eine Abschaffung des Zölibatgesetzes. Dabei bezieht er sich auf die 2018 erschienene MHG-Studie der deutschen Bischofskonferenz, die es deutlich mache: «Die verpflichtende Ehelosigkeit ist ein Risikofaktor im Hinblick auf den sexuellen Missbrauch durch Priester.»
Wenn man die Opfer also ernstnehmen möchte, dann wäre hiermit eine klare Richtung vorgegeben. Ob das auch alle Verantwortlichen so sehen, dies wird sich weisen.