Noch nie waren sich die Musliminnen und Muslime in den USA so einig. Nicht darin, wen sie wählen. Aber darin, welches Thema für sie zuoberst auf der Prioritätenliste steht bei den Wahlen: der Nahostkonflikt.
«Die Musliminnen und Muslime wollen einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas. Sie wollen Hilfslieferungen in den Gaza-Streifen und ein Ende der Waffenlieferungen an Israel», erklärt die Soziologin Saher Selod von der Simmons University in Boston.
Das zeigt eine Umfrage, die Selods Team im Juli durchgeführt hat in den Staaten Georgia, Michigan und Pennsylvania. Dort leben nicht nur viele der rund 3.5 Millionen US-Musliminnen und Muslime. Wichtiger ist: Alle drei Staaten sind «Swing States», deren Wahlausgang 2020 äusserst knapp war.
«Die Muslime haben politischen Einfluss»
In Georgia etwa entschieden 12'000 Stimmen – bei einer muslimischen Wählerschaft von rund 61'000 Personen. In Pennsylvania waren es rund 80'000 Stimmen, in Michigan rund 150'000. Das zeigt: «Die Muslime haben politischen Einfluss – und sie realisieren das gerade.»
Selods Umfrage zeigt auch: Während 2020 noch rund 60 Prozent der muslimischen Wählerinnen und Wähler in den drei Swing States demokratisch gewählt haben, wollen dies nun nur noch 18 Prozent tun. «Ein immenser Rückgang», sagt Saher Selod.
Die Sache mit Jill Stein
Die muslimische Wählerschaft, so Selod, ist enttäuscht von der Nahostpolitik der demokratischen Partei. Zwar haben sowohl Präsident Joe Biden wie auch Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris zugesagt, sich für einen Waffenstillstand einzusetzen.
Doch die Mehrheit der Musliminnen und Muslime traut den Versprechen nicht. Sie gaben in der Umfrage an, nicht wählen zu gehen oder ihre Stimme der grünen Kandidatin Jill Stein zu geben.
Profitieren davon würde, wegen des Mehrheitswahlrechts, Ex-Präsident Trump. Die muslimische Wählerschaft nehme dies in Kauf, sagt Saher Selod. Wohl wissend, dass Trump im Wahlkampf wie schon 2016 von einem Einreisestopp für Muslime spricht – und dass unter seiner Präsidentschaft die Diskriminierungen zugenommen haben.
Und zwar wegen Trump. «Wenn Politiker Minderheiten ins Visier nehmen, dann hat das direkte Auswirkungen», sagt Saher Selod, die zur Diskriminierung von Muslimen doktoriert hat.
Weniger Stimmen für Kamala Harris?
Nehmen die Musliminnen und Muslime trotzdem vier weitere Jahre Trump in Kauf, um ihre Macht an der Urne zu demonstrieren? Laut Saher Selod ist das durchaus möglich. «Nicht zu wählen oder die Stimme einer Drittpartei zu geben, ist nicht Absentismus, sondern im Gegenteil: unglaubliches Engagement. So könnten die Musliminnen und Muslime sicherstellen, dass ihre Anliegen ernst genommen werden.»
Für Kamala Harris bedeutet das: Sie könnte, wegen des Gaza-Krieges, in zentralen Swing States wichtige Stimmen verlieren. Die muslimische Wählerschaft müsste dann unter Umständen weitere vier Jahre mit Donald Trump leben. Sie hätte aber bewiesen, dass man auf ihre Anliegen hören muss.