Ein Dienstag Mitte Mai, Zürich Oerlikon. Das Büro des Vereins «Helferherz». Blick über die Dächer, zwei Computer, die Wand als Flipchart. Ich treffe Christian Schefer und Sabrina Trachsler, die vor über vier Jahren mit dem Konzept gestartet und im Januar 2022 «Helferherz» gegründet haben.
Die beiden kennen sich noch aus der Schulzeit. Jetzt, nach abgeschlossenem Studium, haben sich ihre Wege wieder gekreuzt.
«Uns verbindet, dass wir und viele Freunde uns schon als Jugendliche und Studierende für soziales Engagement interessierten, aber wir fanden nur schwer etwas und wenn, dann passte es nicht in unseren Alltag», sagt Sabrina Trachsler.
So entsteht die Idee zu «Helferherz»: Der Verein soll sozial karitative Institutionen und junge Freiwillige zusammenbringen.
Herausfinden, was wirklich hilft
Trachsler und Schefer haben sozial karitative Institutionen gefunden, die mit ihnen kooperieren wollen. Dabei sind unter anderem die Schweizer Tafel, Velo Tixi Züri, Vereinigung Cerebral Zürich und die Stiftung Züriwerk. «Es war uns wichtig, herauszufinden, welche Art von Engagement den Organisationen hilft», sagt Trachsler.
Durch Recherche unter den 18- bis 35-Jährigen stiessen die beiden auf zwei Dilemmata. Das eine Dilemma: Auch in der Altersgruppe zwischen 18 und 35 würden sich viele engagieren, die Information, wo und wie das möglich ist, dringt aber häufig nicht zu ihnen durch.
Das andere Dilemma: Institutionen suchen nach längerfristig, kontinuierlich einsetzbaren Freiwilligen, die qualitativ hochstehende Unterstützung bieten. Viele in der Altersgruppe können das aber nicht leisten: Studium, Job und Lebensplanung machen es fast unmöglich.
Dieser Umstand könnte eine Erklärung dafür sein, dass diese Altersgruppe im «Freiwilligen-Monitor» eine der kleinsten ist, die sich im sozial karitativen Bereich engagieren will. Laut den Zahlen des Monitors 2020 gerade mal 4 Prozent, wie Adrian Fischer vom Sozialforschungsbüro Lamprecht und Stamm im Interview bestätigt.
Um ein grösseres Verständnis zu schaffen, sich auszutauschen, um von anderen zu lernen, lädt «Helferherz» einmal im Monat zu einem «Connect» ein – früher hätte man «Kennenlernabend» gesagt.
«Connect» – ein gemütliches Kennenlernen
Mittwoch, 19 Uhr, bei «Connect». Als Boomer hätte man einen Infoabend erwartet, der pünktlich um 19 Uhr beginnt, mit einer Rede, Infos, Beamer. Stattdessen trudeln alle erstmal gemütlich ein. Die einen kommen von der Uni, andere aus dem Job. Feierabendbier, Begegnungen, Kennenlernen. An den Wänden viel Papier mit vielen Fragen.
Nach wenigen Minuten reden Menschen, die sich vor einer halben Stunde noch nicht kannten, darüber, warum sie sich engagieren (wollen): «Wie genau?» und «Wie sicher nicht?» und «Wo würdest du noch hingehen?» ist zu hören.
Eine Volontärin sagt am «Connect», sie sei «mit einer Person mit Fluchterfahrung in Kontakt gekommen, was sonst so nicht passiert wäre». Dafür sei sie dankbar. Sie sei auch bei der Schweizer Tafel gewesen und habe viel gelernt über Essenskultur und Foodwaste. Sie schätze an «Helferherz», dass sie mit Betroffenen und Themen in Kontakt komme, mit denen sie sonst keine Berührungspunkte hätte.
Wir haben es geschafft, ein Umdenken zu initiieren.
Nicht nur Studium und Freizeit stehen den jungen Menschen im Weg bei möglichen Freiwilligeneinsätzen. Auch würden Junge gerne weniger hoch qualifizierte Arbeit, dafür über kürzere Zeiträume, ausführen.
«Da passt etwas nicht zusammen. Es war nicht einfach, aber wir haben es geschafft, ein Umdenken zu initiieren», sagt Schefer: «Helferherz» schaut zusammen mit den Institutionen, ob auch kurzfristige Einsätze möglich sind. Diese haben die Institutionen ursprünglich teils nicht gesucht, sie helfen aber dennoch.
Um die Sache zu vereinfachen, hat «Helferherz» die Website «Karma Lama» aufgeschaltet: Auf dieser erscheinen viele Institutionen und es ist genau beschrieben, was potentielle Freiwillige tun können. Das ist wichtig, weil sich nicht alle Freiwilligen alles zutrauen und genau wissen möchten, was sie erwartet. Hilfsbereite finden auf der Seite eine Bandbreite an Institutionen, «aber nicht nur die, die sowieso jeder kennt», sagt Christian Schefer.
Ein Freiwilliger berichtet beim «Karma Lama Connect», dass er anderswo mehrfach abgelehnt wurde, weil er sich nicht längerfristig verpflichten konnte. Dann stiess er auf «Karma Lama». «Das ist viel einfacher und ich kann mich unkompliziert engagieren.»
Manche Einsatzmöglichkeiten haben Schefer und Trachsler sogar zusammen mit den Institutionen kreiert. Erfindungsgeist ist wichtig: «Wenn ich während meines trockenen Wirtschaftsstudiums gewusst hätte, dass ich einer Tetraplegikerin in meiner Strasse hätte helfen können, wenn ich ihr die Buchhaltung für ihre Assistenzpersonen gemacht hätte – noch so gerne und für mich Praxiserfahrung.»
Das machen die beiden: Ideen entwickeln, die die Ansprüche der Institutionen und die Möglichkeiten der Hilfsbereiten zusammenbringen.
Im Einsatz mit der Schweizer Tafel
Freitagmorgen, 7:45 Uhr, Schweizer Tafel, Dietikon. Der Leiter, Philipp Schreier, erklärt, was heute alles anliegt. Die Schweizer Tafel sammelt erst Lebensmittel bei Geschäften ein, um sie danach an Tafeln zu verteilen.
Er ist froh, hat er «die Jungen von Karma Lama». Einerseits hat er Fahrer, die er langfristig planen können muss. Das sind auch Zivildienstleistende. Andererseits braucht er Menschen, die mithelfen. Da kommt «Karma Lama» ins Spiel.
Es sei keine wahnsinnig anspruchsvolle, aber eine durchaus hilfreiche Arbeit: «Ablaufdatum und Druckstellen bei Gemüse und Obst kontrollieren, Fauliges lassen wir da. 20 Tonnen verteilen wir am Standort Dietikon pro Woche», sagt Philipp Schreier.
Die Tour wird eingeteilt. Marco Corletto ist der Fahrer, «Zivildiener», wie sein Namensschild sagt, und Renée Sæthre ist die Freiwillige, die über «Karma Lama» dazugestossen ist. Am Abend zuvor hat sie noch in einer Bar gearbeitet. Nachts um ein Uhr ist sie ins Bett, vor sechs wieder aufgestanden, sie arbeitet bis Mittag bei der Tafel, um 15 Uhr wieder in der Bar.
Was motiviert zur Freiwilligenarbeit?
Renée Sæthre sagt: «Ich bin viel auf Reisen und habe mich im Ausland immer mal wieder sozial engagiert. Hier habe ich erst nichts gefunden. Dann habe ich auf Instagram eine Anzeige von ‹Karma Lama› gesehen und gedacht: Das ist es.»
Wir haben nur Kisten geschleppt, aber das hilft vielen Menschen.
Marco Corletto fährt los, fragt Renée Sæthre, was sie sonst so mache: «Momentan arbeite ich als Bartenderin und geniesse mein Zwischenjahr. Letztes Jahr habe ich meinen Master in Biomedical Engineering an der ETH Zürich abgeschlossen.» «Und du?», fragt sie. «Ich habe heute meinen letzten Arbeitstag. Montag bin ich zurück in meiner Fluggesellschaft», sagt Marco Corletto. Er ist Berufspilot.
Der erste Halt: Palettenweise Lebensmittel. Alle in Ordnung. Harasse Himbeeren. Kopfschüttelnd laden wir auf. «Das ist alles noch gut», sagt Sæthre. Wir fahren von Laderampe zu Laderampe, reden über Foodwaste einerseits, über Armut andererseits. Darüber, was Sinn ergibt im Leben, wenn man es noch vor sich hat. Ungewöhnliche Gespräche, dafür, dass wir uns nicht kennen.
Am Schluss liefern wir das Essen aus. Es ist klar, was einem diese Arbeit gibt. Man hat «nur Kisten geschleppt, aber das hilft vielen Menschen», sagt Renée Sæthre.
Irgendwann ist unsere Tour vorbei. Wir verabschieden uns. Man guckt anders in die Welt nach so einem Tag.