- 2001 eröffnete Volkswagen in Dresden einen Glasbau mit dem Namen «gläserne Manufaktur» und preist ihn heute auf Englisch als «transparent factory» an.
- Im Glanz der Transparenz geht vergessen, dass sich die eigentlichen Herstellungsstätten mit Presswerk und Lackiererei weiterhin am Stadtrand befinden.
- Gleichzeitig agierte der Konzern global äusserst intransparent und betrügerisch: die VW-Motoren haben die festgelegten Emissionsgrenzen um das 40-fache überschritten.
In Dresden steht ein eleganter Glasbau, den man leicht mit einem Museum für moderne Kunst verwechseln könnte. Runde und quaderförmige Gebäudekomponenten aus grossen Glasfassaden und Stahlstützen glänzen auf.
Klinisch sauber
Wenig erinnert an eine Fabrik: keine rauchenden Schornsteine, keine Werktore, kein riesiger Anlieferungsbereich für Lastwagen. Einzig die Fahnen mit dem Logo von VW weisen darauf hin, dass hier Automobile produziert werden.
Den Glasbau eröffnete der Volkswagenkonzern 2001 mit dem Namen «gläserne Manufaktur» und preist ihn heute auf Englisch als «transparent factory» an. Vertikale Dominante dieser transparenten Werkstatt ist wiederum ein gläserner Autoturm, der die Luxusmodelle des VW-Phaetons regalweise stapelt und zum Verkauf ausstellt.
Von Tageslicht erfüllt und klinisch sauber präsentiert sich dann auch die gesamte Fertigungslage. Was als dreckiger und lauter Fliessbandbereich bekannt war, erscheint hier dem Publikum und potenziellen Kunden sauber und transparent.
Der Schein trügt
Allein: Die Fahrzeuge laufen nicht vom Band, sondern werden leise von Robotern über einen Parkettboden transportiert. Passend dazu werden Karosserie und Fahrwerk des Luxsusmodells Phaeton von Monteuren in weissen Kitteln zusammengebaut.
Vorbei scheinen also die Zeiten, in denen ölverschmierte Arbeiter an Karosserien herumschraubten. Im Glanz der Transparenz verschwindet jedoch schnell die Tatsache, dass sich die eigentlichen Herstellungsstätten mit Presswerk und Lackiererei weiterhin am Stadtrand befinden. Nur die Endmontage hat es ins Stadtzentrum geschafft. Doch die Dynamik des trügerischen Transparenzversprechens geht viel weiter.
Manipulierte Abgaswerte
Während VW in Dresden mit Glasarchitektur und Endmontage die Hardware transparent machte und die deutsche Ingenieurkunst vor Publikum zelebrierte, agierte man global auf der Ebene der Software äusserst intransparent und betrügerisch.
Im September 2015 deckte die US-Umweltbehörde EPA auf, dass Europas grösster Automobilhersteller mit einer Motorsteuerungssoftware die Abgaswerte manipulierte. VW hatte dem als «saubersten Diesel aller Zeiten» vermarkteten Motortyp EA 189 eine Software installiert, die Schadstoff-Emissionen während Testphasen herunterregelte.
Im Alltagsbetrieb haben die VW-Motoren laut EPA die festgelegten Emissionsgrenzen um das 40-fache überschritten. Verkauft wurden die manipulierten Getriebe weltweit mindestens 11 Millionen Mal.
Dinge aufarbeiten – und schönreden
Der Glaube an die Transparenz hat das Transparenz-Marketing von VW jedoch nicht unterhöhlt. In einem Deutschlandfunk-Interview forderte die Bundeskanzlerin Angela Merkel anfangs Oktober 2015: «Ich hoffe, dass VW jetzt schnell die notwendige Transparenz herstellt und die Dinge aufarbeitet.»
Und bereits im Dezember 2015 verkündete der neugewählte Aufsichtsrat Dieter Pötsch erneut Transparenz: Er spricht von «einzelnen Mitarbeitern», obwohl es Top-Manager waren; von einer «überschaubaren Zahl», obwohl es viele waren. Und er redet von «Regelverstoss», obwohl es Betrug war.
Somit lauern im Versprechen, Missstände aufzuklären und Transparenz zu schaffen, offensichtlich genauso viele Tücken wie im Marketing mit Transparenz. Die Regel könnte also gelten: Nur weil etwas sichtbar und transparent gemacht wurde, herrscht noch längst keine Klarsicht. Geschweige denn: eine Wirklichkeit ohne Betrug.